Hamburg. Von „The Sound Of Silence“ über „Mrs. Robinson“ bis „The Boxer“: In der ausverkauften Laeiszhalle wurde in Erinnerungen geschwelgt.

Als die ersten Takte von „The Sound Of Silence“ erklingen, blitzt für ein paar Sekunden der Gedanke auf, den Produzenten könnte in der ausverkauften Laeiszhalle gelungen sein, woran die Schöpfer der Londoner Show „Abba Voyage“ mehrere Jahre gearbeitet haben: ein Konzert mit Avataren, erschaffen für ein virtuelles Comeback. Die Stimmen, die Körperhaltung, die Kleidung, die Frisuren – alles wirkt so verblüffend real, als hätten soeben Paul Simon und Art Garfunkel die Bühne geentert.

Laeiszhalle: Eine herzerwärmende Reise in die Zeit von Simon & Garfunkel

Aber das ist natürlich Quatsch. James William Pattison und Charles Blyth sind Briten aus Fleisch und Blut, die sich in das erfolgreichste Duo der Folkpop-Geschichte verwandeln. 500.000 Menschen haben die „The Simon & Garfunkel Story“ bereits weltweit gesehen, an diesem Montagabend hat Hamburg das Vergnügen.

Minutiös zeichnet die Produktion aus dem Londoner Westend die Karriere der beiden New Yorker Barden nach. Von ihrer Schülerzeit, wo sie nur drei Blocks voneinander entfernt im Stadtteil Queens aufwuchsen, über ihre erste Band Tom & Jerry bis hin zu Welterfolgen mit Hits wie „Bridge Over Troubled Water“ und „Mrs. Robinson“ – Soundtrack einer ganzen Generation. Auf einer Videowand werden die Sechziger- und Siebziger-Jahre des 20. Jahrhunderts noch einmal lebendig. Der Krieg in Vietnam, die Studentenproteste, die Mondlandung, die Hippie-Bewegung, eine Zeitreise verdichtet in gut zwei Stunden und 20 Minuten.

Die Kopie klingt inzwischen besser als das Original

Der letzte gemeinsame Auftritt der Originale liegt nun schon 14 Jahre zurück. Am 24. April 2010 sangen Paul Simon und Art Garfunkel beim New Orleans Jazz Festival, die anschließende Tour musste wegen Stimmbandproblemen Garfunkels abgesagt werden. Derzeit erscheint ein Sechser im Lotto wahrscheinlicher als ein Comeback der Musiker, die in diesem Jahr beide ihren 83. Geburtstag feiern werden. Im Oktober 2019 gastierte Garfunkel in der Laeiszhalle, natürlich ohne seinen begnadeten Songwriter-Kollegen. Und wer damals hörte, wie er sich vergebens an den Höhen von „Lie La Lie“, dem Refrain des Welthits „The Boxer“, versuchte, dürfte bei aller Sehnsucht noch Nostalgie gedacht haben: Manche Denkmäler lässt man besser unberührt.

Dann doch lieber die Kopie. Erst recht, wenn sie so gelungen ist. Begleitet werden Pattison und Blyth von einer fulminanten Band, nach der Pause ergänzt um ein Bläser-Trio. Es ist der perfekte Rahmen für die Show, die unaufhaltsam ihrem Höhepunkt entgegensteuert: Der Wiederauflage ihres legendären Konzerts im New Yorker Central Park am 19. September 1981, aus den Lautsprechern klingt die Original-Ansage. Mit den Hymnen „Bridge Over Troubled Water“ und „The Boxer“ verabschieden sich Pattison und Blyth unter Ovationen. Beide holen für das Abschiedsfoto neben ihrer Band noch ihre Technik-Crew mit auf die Bühne, Arm in Arm verneigen sie sich.

Erinnerungen werden wach, zum Beispiel an die erste große Liebe

Die Regie hätte zu diesem Schlussakkord noch einmal „Old Friends“ einspielen können, jenen so berührenden Song aus dem Jahr 1968, der in der Setlist selbstverständlich nicht fehlte. Aber es wäre des Guten zu viel gewesen. Schließlich weiß jeder, der einst die Platten von Simon & Garfunkel im Schrank hatte, dass die beiden sich oft alles andere als grün waren. Legionen von Reporterinnen und Reporter haben versucht, das Geheimnis ihres Konflikts zu ergründen. Die Berichte über die Zwistigkeiten füllen Archive. Angeblich soll Garfunkel ständig über die Körpergröße von 1,60 Meter seines kongenialen Partners gelästert haben. Paul Simon wiederum soll nicht ertragen haben, dass vielen Fans nicht klar gewesen sei, dass er – und eben nicht Garfunkel – die Lieder geschrieben hatte.

Art Garfunkel (links) und Paul Simon im Jahr 1980.
Art Garfunkel (links) und Paul Simon im Jahr 1980. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Bei seinem Auftritt im Oktober 2019 dementierte Garfunkel den angeblichen Dauerstreit hart: „Vergesst, was Ihr darüber gelesen habt.“ Mit Paul verbinde ihn seit mehr als 60 Jahren eine Liebesbeziehung.

Weitere Konzertkritiken

Die Wahrheit werden nur die beiden kennen. Aber vielleicht ist es auch besser, dieses leidige Thema einfach auszublenden, die Welt ist gerade schrecklich genug. Dann sich lieber erinnern. An die erste große Liebe, an den Moment, als die Plattennadel unsterbliche Songs wie „The Boxer“ ertastete. Als er 80 Jahre wurde, sagte Garfunkel in einem Interview: „Ich möchte, dass die Menschen denken, dass Simon & Garfunkel unauslöschlich sind. Wir haben etwas getan, was über die Jahrzehnte hinaus Wert hat.“

Pattison und Blyth leisten dazu ihren Beitrag mit ihrer perfekten Zeitreise. Vielleicht der beste Umgang mit Denkmälern.