Hamburg. Die Fans feiern den Folksänger in der Hamburger Laeiszhalle – trotz stimmlicher Schwächen. Der 78-Jährige bot einen intimen Abend.
Als sich nach dem ersten Lied die Tür zur Bühne langsam öffnet, blitzt für einen Moment der verwegene Gedanke auf. Wie wäre es, wenn jetzt Paul Simon, die Gitarre geschultert, in den Saal schreiten würde, um gemeinsam mit Art Garfunkel „The Sound of Silence“ zu singen? Das berühmteste Folkpop-Duo der Welt, spontan wiedervereint an einem Montagabend in der Laeiszhalle.
Doch natürlich weiß jeder im ausverkauften Saal, dass ein Champions-League-Triumph des HSV ungleich wahrscheinlicher wäre als das Comeback von Simon & Garfunkel. Und so begrüßt Art Garfunkel statt seines Weggefährten seinen Sohn James Arthur. „Ich bin so stolz auf ihn“, sagt er dann, lehnt sich an den Lautsprecher-Turm und lauscht dem in Hamburg lebenden Junior.
Art Garfunkel mit Sohn und charmanten Pannen
78 Jahre wird Art Garfunkel am 5. November, längst ist die blonde Mähne einem schmalen Haarkranz gewichen. Und spätestens beim „Lie La Lie“, dem Refrain des Welthits „The Boxer“, wird klar, dass das Alter auch stimmlich seine Spuren hinterlassen hat. Garfunkels einst so kraftvoller Tenor erreicht keine Höhen mehr, 2015 schrieb ein Kritiker böse von der „Selbstdemontage eines Denkmals“.
Und doch zieht Garfunkel das Publikum sofort in seinen Bann, wenn sein großartiger Gitarrist Tab Laven die ersten Takte von Klassikern wie „Scarborough Fair“ oder „April come she will“ zupft, brandet der Applaus auf. Und gerade die fehlende Perfektion – einmal holt Garfunkel seinen Sohn ein Lied zu früh auf die Bühne, ein anderes Mal kann er den Zettel mit einem Gedicht nicht mehr finden – macht diesen Abend so intim, so einzigartig.
Art Garfunkel spricht über Paul Simon
Natürlich hätte Garfunkel den einfachen Weg wählen können. Wer über 100 Millionen Tonträger verkauft hat, könnte sich die besten Backgroundsänger der Welt gönnen, ergänzt von einer fulminanten Band, die jedes Stimmproblem großvolumig überzuckert. Stattdessen begleiten ihn nur Tab Laven und der Keyboarder David Mackay.
Die Zuschauer spüren diese Ehrlichkeit, diesen Willen dieses so zerbrechlich wirkenden betagten Mannes, der immer wieder die Nähe zu seinem Barhocker sucht. Die Berichte über die Zwistigkeiten mit Paul Simon füllen Archive. Angeblich soll Garfunkel ständig über die Körpergröße von 1,60 Meter seines kongenialen Partners gelästert haben. Paul Simon wiederum soll nicht ertragen haben, dass vielen Fans nicht klar gewesen sei, dass er – und eben nicht Garfunkel – die Lieder geschrieben habe.
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„Vergesst, was Ihr darüber gelesen habt“, sagt Art Garfunkel an diesem Abend, mit Paul verbinde ihn eine Liebesbeziehung über 60 Jahre. Vor „Kathys Song“, einem der schönsten Liebeslieder der Musikgeschichte, sagt er: „Danke Paul für dieses Lied.“ Art Garfunkel erinnert, wie Paul Simon ihn einmal in seinem von Kakerlaken besiedelten Studenten-Apartment („Wir waren arme Leute“) in New York besucht habe, um ihm aufgeregt zu berichten, dass er gerade das Lied schlechthin geschrieben habe: „Sounds of Silence“.
Garfunkel will 2020 wieder nach Hamburg kommen
Die Wahrheit über den Status ihrer Beziehung werden nur die beiden kennen, wenn es denn überhaupt die eine Wahrheit geben sollte. Aber es ist am Ende egal, die Bilder von Simon & Garfunkel im Kopfkino werden bleiben, mehr als sechs Jahrzehnte nach ihrer ersten Single „Hey, Schoolgirl“, erschienen 1957, damals noch unter dem Namen Tom and Jerry. Zwei amerikanische Schüler, die den Soundtrack einer Generation lieferten. Für den ersten Kuss, die erste große Liebe.
Und vielleicht ist es besser so, wenn kein Comeback diese Erinnerungen zerstört, zu groß wäre das Risiko des stimmlichen Scheiterns. Art Garfunkel indes will wieder kommen, im nächsten Jahr schon. Er schlingt die Arme um seinen schmalen Körper, sagt, dass Hamburg ihm einen der besten Abende seiner Karriere beschert habe: „Ich danke Euch allen.“