Hamburg. Am Altonaer Theater feiert Bühne Cipolla mit „Dr. Fischer aus Genf oder die Bomben-Party“ Uraufführung. Auch hinterher staunen Zuschauer.
Vom britischen Autor Graham Greene (1904-1991) ist so einiges überliefert. Mehr als 20 seiner Romane, Erzählungen und Theaterstücke sind im Laufe der Jahrzehnte auch verfilmt worden, der Roman „Bright Rock“ als Gangsterdrama 2010 sogar ein zweites Mal. Aber ein Figurentheater von dem Mann, der auch das Drehbuch für den Schwarz-Weiß-Klassiker „Der dritte Mann“ geschrieben hat? Das suchte man bisher vergeblich.
Da muss erst die Bühne Cipolla ins Altonaer Theater kommen. Deren Macher Sebastian Kautz und Gero John sind in Hamburg beileibe keine Unbekannten. Das kleine Ensemble aus Bremen hat schon in der Elbphilharmonie gastiert und bei den bundesweiten Privattheatertagen in der Hansestadt, dort 2019 mit der Produktion „Der Untergang des Hauses Usher“ sogar den renommierten Monica-Bleibtreu-Preis gewonnen. Jetzt hat die Bühne Cipolla mit ihrer Adaption von Graham Greenes „Dr. Fischer aus Genf oder die Bomben-Party“ als Co-Produktion mit dem Altonaer Theater und dem Theater Duisburg Uraufführung gefeiert. Als Theater für Erwachsene, mit Puppen und Masken, konzentriert auf knapp eineinhalb Stunden, mit eigens komponierter Livemusik.
Theater Hamburg: Graham Greenes Roman in Altona – das Böse wird handhabbar
Und es ist erstaunlich, wie Puppenspieler und Regisseur Sebastian Kautz sowie sein Kompagnon Gero John mit Greenes Roman von 1980 ein weiteres Werk der Weltliteratur in ausdrucksstarkes und poetisches Figurentheater kleiden. Noch erstaunlicher: Die Geschichte um den exzentrischen Schweizer Milliardär Dr. Fischer, der keine Freunde hat, aber regelmäßig Gäste zu sich zu Soirees ins Haus lädt, um mit ihnen makabre Partyspielchen zu treiben, funktioniert auch auf der großen Bühne des Altonaer Theaters. Ein langer Tisch, auf ganzer Breite errichtet, dient zugleich als Ablagefläche für die Puppen. Präsent sind sie so oder so.
Mit allen sieben der von Melanie Kuhl gestalteten Masken hantiert Kautz, verleiht ihnen auch Stimmen. Wobei die Titelfigur rein äußerlich bewusst einer Mischung aus Monster und Mensch gleicht. Das Böse wird hier handhabbar, wenn Hausherr Dr. Fischer menschenverachtende Scherze macht und die Gäste demütigt. Greenes skurrile Charaktere lassen sich hier mit mindestens ebenso eigenwilligen Figuren spielen, seien es die Dame Mrs. Montgomery oder ein General mit Barett, Sonnenbrille und weißer Uniform.
Musiker Gero John reichert die fließenden Übergänge mit Klangbildern an
Dennoch vernachlässigt die Bühne Cipolla die tragische Liebesgeschichte in „Dr. Fischer aus Genf oder die Bomben-Party“ nicht. Fischers Tochter Anna, die sich längst mit ihrem Vater überworfen hat, wirkt durchaus weiblich und ist fein geführt und gestaltet. Und wenn Kautz sie vor dem Tisch mit ihrem Verlobten Alfred tanzen lässt, schwebt das Publikum förmlich mit. Alfred hat im Zweiten Weltkrieg eine Hand verloren, anschließend bei einer schweren Geburt seine Ehefrau und die gemeinsame Tochter.
Obwohl Anna Alfred vor ihrem Vater, dem „Satan“, warnt, möchte er – ganz alte Schule – den Patron anstandshalber über die Heiratspläne informieren. Anna empfindet die Gäste ihres Vaters bloß als „Kriechtiere“ und meidet das dekadente Elternhaus. Ein langes Glück ist der neuen Liebe leider nicht beschieden. Musiker Gero John, zwischendurch auch als Butler am Tisch gefragt, gelingt es mit seinem Cellospiel und mithilfe einer Loop-Station, die fließenden Übergänge mit Klangbildern anzureichern. Ob nun auf dem Friedhof oder auf Dr. Fischers Anwesen.
Altonaer Theater: Graham Greenes Spiel um Habgier und gesellschaftliche Gier
Beinah spannend wie ein Krimi gerät der Showdown: Noch einmal hat der Hausherr seine Bekannten zu einer „Abschiedsparty“ geladen, auch den nun zweifachen Witwer Alfred. Statt Platinuhren locken die sechs Gäste nun Millionenschecks, versteckt in fünf bunten Knallbonbons. Im sechsten jedoch steckt ein Sprengsatz. Ein Gast schleicht sich davon, die anderen bleiben.
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Das Spiel um menschliche Schwächen, um Verachtung, um Habgier und die Gier in der Gesellschaft insgesamt treiben John und Kautz äußerst gekonnt auf die Spitze. Der Katholik und Kommunist Greene lässt mit seinem Roman textlich grüßen. Und das Publikum im Altonaer Theater dankt es dem Ensemble mit minutenlangem Applaus und betrachtet nach Ende interessiert, ja fasziniert die Masken am Bühnenrand. Schade nur, dass der große Saal bloß gut zur Hälfte besetzt war.
„Dr. Fischer aus Genf oder die Bomben-Party“ wieder Do 11.4., 19.30, bis 4.5., Altonaer Theater (S Altona), Museumstr. 17, Karten zu 20,- bis 42,- unter T. 39 90 58 70; www.altonaer-theater.de