Hamburg. Der Ausnahmemusiker ließ das Publikum im Großen Saal vor Begeisterung toben. Ein bewegendes Konzert zwischen Poesie und Virtuosität.
Arcadi Volodos lässt das Publikum ein bisschen warten. Eine leise Unruhe hat sich eingestellt, die Spannung steigt. Es ist schon beinahe zehn Minuten nach 20 Uhr, als das Licht vor dem Recital des St. Petersburger Pianisten gedimmt wird. Volodos setzt anscheinend auf Atmosphäre, auf Konzentration, auf Intimität. Langsam geht er zum Flügel im Großen Saal der Elbphilharmonie. Kein klassischer Klavierhocker steht da, sondern ein Stuhl mit Lehne.
Sensationell: Arcadi Volodos entführt in den Pianistenhimmel
Volodos scheint sich entspannt zurückzulehnen. Aber in Wirklichkeit ist er hoch konzentriert. Er imaginiert jeden Klang, jede Färbung, jede dynamische Nuance mikrogenau. Und da kommt man bei diesem außergewöhnlichen Klavierabend nicht aus dem Staunen heraus. So leise, so intensiv und spannungsgeladen klingt ein mehrfaches Pianissimo in der Elbphilharmonie nicht alle Tage. Und selten hört man da einen Pianisten mit einer unangestrengten Virtuosität ohne Grenzen, technisch jenseits von Gut und Böse, aber ohne jeden Anflug von Show oder Pathos. Nach vier Zugaben tobt am Ende der ausverkaufte Saal mit Standing Ovations.
Eine der Zugaben ist Schuberts drittes „Moment musical“ in f-Moll, eine kleine zart getupfte, ein wenig tänzelnde Miniatur, nur gut zwei Minuten lang. Wenn sich da am Ende das Moll-Thema nach Dur wendet, wenn Arcadi Volodos in sein zerbrechlichstes und leisestes Pianissimo geht, da ist der der süße Schmerz der Melancholie kaum aushaltbar. Vielleicht klingt so der Pianisten-Himmel?
Diese Virtuosität ist auch in der Elbphilharmonie nicht alltäglich
Schön und klug ist es auch, mit dieser Schubert-Zugabe den Bogen zum Anfang des Konzertes zu schlagen. Zu Schuberts großer a-Moll-Sonate D 845, ein nicht ganz leicht verständliches, grüblerisch philosophierendes Stück. Voller Einsamkeit, rätselhaft hallt am Anfang das Unisono-Thema – gespielt ohne Begleitstimmen – in den Saal. Eine so richtig eingängige Melodie ist das nicht. Schubert stellt so viele Fragen, selbst wenn er mit einem markant, aber fast militärisch bedrohlich trommelndem Marschrhythmus dem Hörer mal ein bisschen metrischen Halt gestattet. Arcadi Volodos spielt das mit unglaublicher Würde, so nobel. Und dann akzentuiert er – zum Beispiel im dritten Satz Scherzo – die sperrigen Synkopen, die Betonungen gegen den Takt, so frech, so überraschend, dass sich alle Sicherheit in einen Schwebezustand auflöst. Dieses Pendeln, dieser Blick in einen Abgrund und das Suchen und Finden von Halt, mit lieblicheren, vertraut scheinenden Melodien vermittelt Arcadi Volodos mit einer faszinierenden Balance.
Auch Robert Schumanns „Davidsbündlertänze“ loten Extrem-Pole von Emotionen aus. Das Wilde, Sperrige und Aufbegehrende voller nervöser Unruhe auf der einen Seite und auf der anderen Seite der Rückzug ins Innerste der Seele, in die Poesie. Wieder lässt Arcadi Volodos da nach der Pause die leisesten Klaviertöne durch den Saal hallen, sie scheinen ganz aus der Ferne zu kommen, aber sie sind da. Hochspannung, unter die Haut gehende Intensität.
Arcadi Volodos rast mit präzise perlenden Läufen über die Tastatur
Wie bekannt hatte Schumann eine bipolare Persönlichkeit, innere Kämpfe, an denen er letztlich zerbrach. Lange hat er sie musikalisch genial in seine beiden Fantasie-Figuren, in „Florestan, den Wilden“ und „Eusebius, den Milden“, gebannt. Die 18 Miniaturen der „Davidsbündlertänze“ sind ein permanentes Hin und Her dieser Emotionen. Da rast Arcadi Volodos einmal mit präzise perlenden Läufen in wildem Getriebensein über die Tastatur, da akzentuiert er sperrige Akkorde wir Peitschenschläge, und dann tanzen seine Finger mit unvorstellbarer Leichtigkeit wie Federn im Wind über die Tasten und drücken die größte vorstellbare Sehnsucht aus. Da schälen sich schmerzliche Melodien aus dem dichten Tongewebe und scheinen nach Ruhe und Erlösung zu flehen.
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Eine „Ungarische Rhapsodie“, ein halsbrecherisch-virtuoser Rausschmeißer von Liszt als Schlussstück? Ja, einerseits. Volodos ist bekannt dafür, dass er die schon ohnehin supervirtuosen pianistischen Kabinettstückchen der Romantik bearbeitet und durch zusätzliche Schwierigkeiten noch „unspielbarer“ macht. Aber das ist nur die halbe Wahrheit für Liszts a-Moll-Rhapsodie. Bevor es pianistisch am Ende in Virtuosen-Sphären geht, an denen viele scheitern, hat das Stück lange, rhapsodisch-erzählende Passagen, die in ihrem sprechenden, nachdenklichen Charakter sinnvoll an Schumann anschließen. Einmal mehr findet Arcadi Volodos feinste Zwischentöne in Dynamik und Farben, elegant federnde Rhythmen, subtilste Poesie und eine Virtuosität, die ihm so leicht niemand nachspielt, besonders, weil sie nie Selbstzweck ist und versucht, das Wesen der Musik zu erspüren.