Hamburg. Die Hamburger Sängerin blickte im ausverkauften Großen Saal auf ihr Debütalbum zurück, mit dem 2004 ihre Karriere begann.

„Und gestern mein Benehmen, das ging dir echt zu weit, die Nacht war lang und ich `n bisschen breit“ oder auch „Dass du nicht mehr bist, was du einmal warst, seit du dich für mich ausgezogen hast“ sind Textzeilen, die man mit 46 Jahren doch anders singt als mit 26. Die Stimme rauer, das Leben gelebter, die Seele und das Herz vernarbter. Seit dem Erscheinen ihres Debütalbums „Bohème“ im Jahr 2004 hat Annett Louisan Lieder wie „Das Spiel“ oder „Die Dinge“ durchaus auch als Gebrauchsanleitung verstanden.

Annett Louisan: Gala für „Bohème“ in der Elbphilharmonie

„Kauf mir ′n Ring, schmeiß ′n Fest, mach mir `n Kind, bau mir `n Nest. Bevor dieser Rausch wieder nachlässt“: 20 Jahre, zwei Hochzeiten und eine Geburt später steht Annett Louisan am Mittwoch auf der Bühne im Großen Saal der ausverkauften Elbphilharmonie. 2004 gab sie mit Blick auf den Hafen in einer Bar ein Showcase vor einer kleinen Pop-Branchenbagage. Nicht jeder glaubte seinerzeit an eine beständige Karriere der ursprünglich aus Schönhausen (Sachsen-Anhalt) stammenden Sängerin, die vorher in Hip-Hop- und Soulbands wie Melontoast Experience mitmischte und auf einer Party dem Pop-Produzenten Frank Ramond (Barbara Schöneberger, Ina Müller, Yvonne Catterfeld) einen Zettel zusteckte: „Ich bin Annett. Klein, blond, lustig. Ruf mich an, wenn du eine Sängerin brauchst.“

Annett Louisan: Die erste Hälfte gehört ganz dem ersten Album „Bohème“

In der Elbphilharmonie blickt Louisan noch mal zurück auf die Anfänge. Die erste Hälfte der 130 Minuten gehört komplett dem Album „Bohème“, die zwölf Lieder werden in der Plattenreihenfolge von „Das Spiel“ bis „Das Liebeslied“ präsentiert. So hört man einige Live-Raritäten wie „Die Lüge“, das 18 Jahre nicht mehr aufgeführt wurde. Ursprünglich, so erzählt Louisan kurz vor dem Konzert in einer kleinen Presserunde, spielte sie mit der Idee, zu diesem besonderen Anlass auch ihre damalige Band einzuladen. Stattdessen entlockt aber ihr aktuelles Ensemble mit Paul Kleber (Kontrabass), Christoph Bernewitz (Gitarre), Uri Ginzel (Klavier) und Tobias Backhaus (Schlagzeug) Liedern wie „Die Trägheit“ und „Der Blender“ noch katzentatzigere Samtpfotentöne als auf dem Album. Im Verlauf des Abends stoßen auch noch Friedrich Paravicini (Cello, Celesta, Theremin) und Florian Menzel (Horn, Trompete) zur Band dazu.

Annett Louisan und ihre Band im Großen Saal der Elbphilharmonie.
Annett Louisan und ihre Band im Großen Saal der Elbphilharmonie. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Katzentatzig. Die erste Hälfte schleicht Louisan passend zum Lied „Die Katze“ über das komplette Rund der Bühne und singt in jeden Winkel des Großen Saales. Der bis auf die elektrische Gitarre kaum verstärkte Sound ist akzentuiert und klar. Ihre Tonmänner Hubertus Mohr und Guido Sehrbrock leisten gute Arbeit. Sehrbrock („Mein Arbeitsehemann“) hat nur drei von Louisans bislang 546 Konzerten verpasst: „Wir werden diesen Weg wohl zu Ende gehen“. Neun Top-Ten-Alben, zuletzt „Babyblue“ 2023, bieten noch Stoff genug. Vielleicht mal wieder für ein Clubkonzert wie 2007 in der Großen Freiheit oder 2011 im Knust. Die zwei neuen, bislang unveröffentlichten Songs „Wofür tust du‘s“ und „Ver-liebt“, die nach der Pause geradezu rockend aus dem Chanson-Bossa-Jazzpop-Korsett ausbrechen, wären ideal dafür.

Annett Louisan in der Elbphilharmonie: Ein alter Freund ist Gaststar des Abends

Im Lied „Herrenabend“ sammelt Louisan an der Supermarktkasse keine Treuepunkte. Die verdient sich allerdings Gaststar Stefan Gwildis. Im Februar lud der Barmbeker Soulbruder seine Freundin, mit der er bereits 2004 in Wien auftrat, für ein Solo und ein Duett in die Laeiszhalle ein. In der Elbphilharmonie revanchiert sich Louisan und überlässt Gwildis den Saal für „Allem Anschein nach bist du’s“ („Ain’t No Sunshine“). Auch die alberne Trittleiter für ein wackeliges Tänzchen auf Augenhöhe beim gemeinsamen „So was Blödes“ („Something Stupid“) hat Gwildis wieder mitgebracht.

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Songauswahl und Arrangements der schwungvollen, zum Mitklatschen animierenden zweiten Hälfte zeigen, wie vielseitig Louisan seit „Bohéme“ geworden ist. „Die schönsten Wege sind aus Holz“ schickt das Publikum dann auch noch nicht nach Hause. Louisan könnte jetzt auf Nummer sicher gehen mit Fanfavoriten wie „Eve“ oder „Das alles wär nie passiert“, stattdessen überrascht sie mit „Drück die 1“ und „Auf dich habe ich gewartet“ vom unterschätzten vierten Album „Teilzeithippie“ (2008), auf dem sie sich damals stilistisch neu orientierte. Der Applaus ist trotzdem groß, nachdem die Band den Abgang Louisans mit einem letzten Jam begleitet.

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Aber die Textzeile „Ich kriege scheinbar irgendwie den Hals nicht voll“ aus „Die Dinge“ bleibt auch 20 Jahre nach ihrem Erscheinen die Devise von Annett Louisan und ihren Fans. Am 26., 27. und 28. September wiederholt sie ihr Programm „20 Jahre Bohème“ auf dem Kiez im St. Pauli Theater. Sie will ja nur spielen.

Annett Louisan: „20 Jahre Bohème“26.9., 27.9., 28.9., jew. 19.30, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29–30, Karten ab 49,90 im Vorverkauf und in der Abendblatt-Geschäftsstelle;www.st-pauli-theater.de