Hamburg. Pianist Arcadi Volodos spielte mit Werken von Schubert, Rachmaninow und Skrjabin ein anspruchsvolles Programm.
Rätselhaft wirkte es mitunter schon, was Arcadi Volodos tat oder ließ. Den früheren Ruf der rasant virtuosen Notenschleuder hat der Russe überwunden; das Programm, mit dem er nun in den Großen Saal der Elbphilharmonie kam, war introvertiert und ganz und gar nicht von Überwältigungsabsichten bestimmt: Frühes und Kleines von Schubert, Schwelgendes von Rachmaninow, Schwebendes von Skrjabin.
Ein anspruchsvolles, unglamouröses Programm, das auf die inneren Werte setzte, mit einem Übergewicht langsamer Tempi, die dieser Pianist zusätzlich dehnte und ausreizte. Eine Lektion im Hinhörenmüssen wurde erteilt, die Volodos umso eindringlicher inszenierte und durchzog, je öfter störende Publikumsgeräusche – bis hin zur respektlosen Massenabwanderung noch während der vier seelenruhig gegebenen Zugaben – an den Nerven sägten.
Allegretto mit angezogener Hand-Bremse
Mit der sehr frühen E-Dur-Sonate von Schubert, wie so einiges von ihm unvollendet, wurde Volodos allerdings nur bedingt warm. Mag sein, dass er der Unterforderung durch ihre anfängliche Eingängigkeit misstraute. Mag auch sein, dass die Konzentration aufs Geschehen im Flügel vor ihm sich erst einstellen musste. Denn einzig im herzerwärmend schlichten zweiten der drei Sätze fand Volodos auf jenen schmalen Mittelweg zwischen Verzweiflung und Hoffnung, durch den ein langsam ausgedachter musikalischer Gedanke bei Schubert zur existenziellen Frage ans einsam trudelnde Schicksal wird.
Volodos tänzelte versonnen durch die feine Struktur und beglückte mit galanter Tristesse, weil er eben nur das Allernötigste spielte. Charmanter, aber auch noch nicht unverspannt waren die folgenden „Moments musicaux“, aus denen Volodos nachdenkliche Momentaufnahmen machte. Dem populären dritten Moment entzog er dadurch eine Portion Harmlosigkeit; im sechsten jedoch, auf dem Papier immerhin ein Allegretto, zog er die Hand-Bremse arg stramm an.
Je später der Abend, desto feiner die Klangfarben
Der Papierform nach war der erste Teil des Recitals ein Auftritt des zurückgenommenen Dr. Volo - der zweite, mit rauschenden russischen Endromantikern, hätte dem stürmisch auftrumpfenden Mister Dos gehören können. Doch auch hier umkurvte Volodos die Erwartung und blieb ruhig und mysteriös. Das einzige unmittelbare Zugeständnis an Publikumsvorlieben, für das er in diesem Abschnitt zu haben war: Rachmaninows cis-Moll-Prélude op. 3/2, in dem er einen ersten Vorgeschmack auf die Differenzierungskünste gab, die den Rest des Programmblocks prägten und verzauberten.
Je später der Abend, desto feiner die Nuancen der Klangfarben und -schattierungen. Je unbekannter die Rachmaninows (Volodos spielte auch eine eigene Bearbeitung einer Lied-Romanze), desto entrückter die Stimmung, in der diese Musik die Bodenhaftung überwinden sollte. Auf wie viele Arten man ein Pianissimo variieren kann, mit wie vielen Möglichkeiten man einen Klang dezent vernebeln kann – all das führte Volodos in den verwegen wirren Skrjabin-Stücken vor, die sich nach und nach ins Entrückte entfernten, mit einer Mazurka-Andeutung beginnend und im irrlichternden „Vers la flamme“ endend. Taktstriche und Tonart-Bindungen hatten sich da bereits in klingende Luft aufgelöst, Sternenstaub aus Tönen funkelte durch das Halbdunkel. Diese Musik war schon nicht mehr von dieser Welt. Und Volodos traute sich, sie so fremdartig, wild und schön wirken zu lassen.