Hamburg. Die Chansonnière beendet ihre Tour in Hamburg. Vieles ist wohlbekannt, anderes überrascht: etwa wie politisch die Sängerin jetzt ist.
Die vielleicht kleinste Grande Dame Deutschlands kann es noch immer – und wie. Beinahe 20 Jahre sind seit ihrem Debütalbum „Bohème“ vergangen, doch Annett Louisan hat ihr elfengleiches Hauchen und laszives Gesäusel nicht verloren. Einzig sind ihre Songtexte reifer und reflektierter geworden. Und das gefällt dem Publikum gut, wie sich bei Louisans „Babyblue“-Tourabschluss am Mittwochabend in der Hamburger Laeiszhalle zeigt.
Konzert in Hamburg: Annett Louisan ist älter geworden, aber alles andere als alt
„Babyblue“ ist nicht nur der Titel von Louisans insgesamt sechwöchiger Tour, sondern ebenso des zehnten und neuesten Albums der Hamburgerin. Es erzählt vom Älter-aber-noch-nicht-altgeworden-Sein – und davon, dass Louisan trotz oder wegen aller Pleiten und Pannen glücklich ist, aus ihren Zwanzigern hinaus- und in „Die mittleren Jahre“, so der Eröffnungstitel des Abends, hineingewachsen zu sein.
Die erste Hälfte des Konzerts widmet die Chansonnière fast ausschließlich ihren neuen Songs. Sie weiß genau, was zündet: Süffisant dirigiert Louisan das Publikum durch „Hallo Julia“, „Babyblue“ und das Freundinnen-Manifest „Blutsschwestern“. Letzteres kommt bei ihrem vielfach aus Frauengruppen bestehenden Publikum selbstverständlich hervorragend an. Sowieso lädt ein Louisan-Konzert doch mit angenehmer Leichtigkeit zum weiblichen Stolz ein. Hier ist beinahe jeder Songtext eine Feier der Weiblichkeit, dieses schönen und cleveren Geschlechts, des Sinnlichen und Sensiblen.
Annett Louisan glaubt an die Demokratie – und die Liebe
Neu wiederum ist, dass Louisan auf ihrem jüngsten Album sowie live in der Laeiszhalle auch ziemlich politisch wird. Gleich in mehreren Songs („Die fabelhafte Welt der Amnesie“ oder „Große Hände“) äußert sie sich, wenn auch ironisch gebrochen, besorgt über Fake News und Nachrichtenvermeidung, „Lügenpresse“-Skandierende und Verschwörer. „Ich glaube an Demokratie, an Bildung, Aufklärung“, versichert und appelliert sie, „und die Liebe, die größte Kraft überhaupt“ – na klar.
Auf diese Ansage folgt, logischer Schluss, „L‘amour“, das die frankophile Louisan mit ihrem unverwechselbaren akustischen Schlafzimmerblick direkt in die Herzen ihrer Zuschauer säuselt. Mirelle Mathieu, wenn sie als Kind in einen Kessel Coolness gefallen wäre.
Laeiszhalle Hamburg: Die Chansonnière tauscht Tee gegen Sektflöte
Bevor sie die erste Konzerthälfte beendet, verwandelt Louisan das angeklungene „Eve“ vom 2005er Album „Unausgesprochen“ noch fix in ein schunkeliges „Oh, Champs Élysées“, mit dem sie ihre Gäste in die Pause entlässt.
Und sich selbst in die Umkleide schickt. Denn rund 20 Minuten später hat Louisan ihr schweres, rotes, hochgeschlossenes und ausgestelltes Samtkleid gegen ein zartes schwarzes mit Glitzerpailletten getauscht. Und auch die Tasse Tee, an der sie zuvor hin und wieder vermutlich der Stimme wegen genippt hatte („Türkischer Apfel“), hat sie ersetzt – durch eine Sektflöte. Ganz recht, denn in der zweiten Hälfte des Abends inszeniert sich Louisan mit ihren beliebtesten Klassikern als Lebefrau, der ohne Prosecco wohl vieles nie passiert wäre, wie sie in einem ihrer größten und in der Laeiszhalle stark umjubelten Hits verschmitzt zugibt. Auf den Sitzen hält es da fast keinen mehr.
Anett Louisan: Glöckchenstimme zu unterhaltsamer Jazzcombo
Spätestens jetzt wird deutlich, dass die fünf da vorn auf der Bühne hier zwar gemeinsam anzutreffen sind, die vier Herren an Kontrabass, Schlagzeug, Klavier/Keyboard und Gitarre aber selbst ohne Louisans Glöckchenstimme eine unterhaltsame Jazzcombo ergäben. Immer wieder räumen sich die Musiker gegenseitig Platz für kleine Soli ein, die sich hervorragend frech in die frivole Stimmarbeit der Sängerin einpassen, etwa in den Songs „Der Blender“, „Das Gefühl“ oder „Die Katze“, die seit Louisans Debüt Publikumsrenner sind.
Dass die Sängerin aus St. Georg jedoch auf mehr als Effekthascherei mit Altbekanntem setzt, zeigt sie während des Konzerts ebenfalls. Mindestens zwei Songs singt sie ganz offenbar in erster Linie, weil sie größte Bedeutung für Louisan selbst haben: erst Kate Bushs Mütterhymne „A Woman‘s Work“, gen Ende des Abends Joni Mitchells „Both Sides Now“.
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Annett Louisan in der Laeiszhalle Hamburg: Will doch nur spielen
Will doch nur spielen: Nachdem Louisan in ihrer ersten Zugabe zwar „Kleine große Liebe“ und „Belmondo“ zum besten gibt, der Hit der Hits aber noch fehlt, wissen Fans wie Gelegenheitshörer der Sängerin gleichermaßen, dass eine zweite Zugabe herbeigeklatscht und -getrampelt werden kann und soll. Dann, zuallerletzt, erklingt also endlich auch „Das Spiel“. Alle schunkeln. Schön.
Trotz Tourabschluss steht das nächste Annet-Lousian-Konzert schon ins Haus: Am 27. März feiert die Sängerin den 20. Geburtstag ihres ersten Albums „Bohème“ mit einem Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie. Tickets unter elbphilharmonie.de.