Hamburg. Der Monteverdi Choir und die English Baroque Soloists unter der Leitung von Peter Whelan überwältigten das Publikum im Großen Saal

Vor knapp einem Jahr haben der Monteverdi Choir und die English Baroque Soloists in der Elbphilharmonie Maßstäbe gesetzt. Mit einer packenden Aufführung von Bachs h-Moll-Messe unter Leitung von John Eliot Gardiner. Jetzt waren die britischen Spitzenensembles wieder im Großen Saal zu Gast, mit Händels Oratorium „Israel in Egypt“, und begleitet von der Frage, ob sie das Top-Niveau auch ohne ihren Gründer halten können.

„Israel in Egypt“ in der Elbphilharmonie: Hilfeschreie bis an die Schmerzgrenze

Gardiner ist auf der Tour nämlich nicht dabei. Nachdem er im vergangenen August einen Sänger geohrfeigt und die Tätlichkeit anschließend öffentlich bereut hatte, hat sich der 80 Jahre alte Dirigent eine Auszeit auferlegt. An seiner Stelle stand, beziehungsweise wippte und federte sein Kollege Peter Whelan auf der Bühne – und brauchte nicht lange, um mögliche Zweifel wegzufegen. Gleich im ersten Chor entfachte der Barockexperte eine umwerfende Intensität, indem er den Hilfeschrei des versklavten Volkes Israel bis an die Schmerzgrenze trieb.

Whelan setzt Gardiners Weg konsequent fort, der die Affekte der Musik in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus gerückt hat. Er nutzt die außergewöhnliche Flexibilität von Chor und Orchester, um die Kontraste stilkundig auf die Spitze zu treiben. Und davon gibt es reichlich. Georg Friedrich Händel, der Theaterfuchs, hat die biblischen Texte über die Flucht der Israeliten effektsicher vertont. Vor allem die Plagen, die Gott über Ägypten ausschüttet, sind im Oratorium plastisch abgebildet. Wenn etwa der Hagel mit Paukendonnern aufs Publikum einprasselt oder ein Monsterschwarm von Fliegen und Läusen über das Land kommt.

Elbphilharmonie: Die Präzision der English Baroque Soloists war einfach phänomenal

Geradezu irrwitzig virtuos flirren die Zweiunddreißigstel da durch die Streicher. Phänomenal, mit welcher Präzision die English Baroque Soloists das abliefern. Aber die Hauptrolle spielt der 29 Sängerinnen und Sänger starke Monteverdi Choir, aus dessen Reihen auch die Solopartien besetzt sind. Sie alle fesseln mit ihrer Lust am Text und an dynamischen Extremen. Das Pianissimo vom Chor ist zauberweich, das Forte strahlt. Manchmal glüht der helle, typisch britische Laserschwert-Sound der Soprane fast schon eine Spur zu grell. Aber solche gelegentlichen Schärfen und Ausreißer aus der Homogenität nimmt Whelan in Kauf.

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Er sucht nicht glatte Perfektion, sondern Ausdruckskraft, er will berühren und überwältigen. Und das gelingt. Im Finale föhnt der Chor sein Publikum, angeführt von den Tenören, beinahe aus den Sitzen. Aufregender, heutiger und mitreißender lässt sich die bald dreihundert Jahre alte Musik kaum zum Leben erwecken.