Hamburg. Beim neuen Stück des chilenischen Choreografen Jose Vidal geht es sehr esoterisch zu. Manches ist gefährlich nahe am Erotik-Kitsch.

„Nube“ heißt auf spanisch „Wolke“. Und Wolken sind das erste, was einem der chilenische Choreograf Jose Vidal in seinem Stück „Nube“ zeigt: Die große Kampnagel-Halle K6 ist eingenebelt, dazu zieht ein Duft wie beim Saunaaufguss durch die Reihen (Aromatisches Duftdesign: Paloma Espinoza).

Aber Vidal denkt nicht nur an Bühnennebel, „Nube“ ist ein „Symbol für Kontemplation und Bewegung, eine Struktur, die wir nicht fassen können und die eine symbolische und sensible Reflexion unserer Gefühle und Wünsche ist“, verrät der Programmzettel. So weit, so gut. Als es dann noch um „Wahrheiten, die uns der Himmel lehrt“ geht, wird es arg vernebelt-esoterisch, aber wir halten fest: Es geht ums Nichtfassbare.

Theater Hamburg: Auf Kampnagel im Nebel verirrt

Und ums Nichtsichtbare. Zunächst ist es lange dunkel auf der Szene, dann wallen Wolken, irgendwann öffnet sich ein kleiner Spalt Richtung Bühnenraum, es wird hell, man erkennt einzelne Köpfe. Die bewegen sich, wellenartig, synchron, leicht verschoben, dann schließt sich der Spalt wieder. Und dazu gibt es meditative Synthesizerklänge von Andrés Abarzúa.

Entstanden sei „Nube“ am Ende der Corona-Pandemie, erfährt man, im Rahmen einer Residenz am Produktionshaus NAVE in Santiago, bei der es darum gegangen sei, überhaupt wieder Verbindungen zwischen den Körpern herzustellen, nach zwei Jahren Isolation. Und diese Verbindungen sieht man jetzt auf Kampnagel: 14 Tänzerinnen und Tänzer, die einen kollektiven Körper bilden, einen Schwarm, der sich sanft über die Bühne bewegt.

14 Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich sanft über die Bühne

Es sind attraktive Körper, die hier in durchsichtigen Kleidern agieren, und weil all das so harmonisch ist und so schön, ertappt man sich zwischendurch auch beim Gedanken, dass man es hier mit einer Konvention zu tun hat, die gefährlich nahe am Erotik-Kitsch kratzt. Was nicht ganz fair ist. Insbesondere die raffinierte Bühne (die Vidal gemeinsam mit Julio Escobar Mellado entworfen hat) sorgt dafür, dass man immer nur einen kleinen Ausschnitt des Bühnengeschehens erkennt – „Nube“ ist auch ein interessantes Spiel mit dem Blick des Zuschauers.

Das freilich zwischendurch auch etwas unfreiwillig Komisches hat: An einer Stelle bewegen sich die Tänzer synchron von links nach rechts, weil aber der Spalt hier extrem eng ist, erkennt man nur die Köpfe, und das sieht dann aus wie Menschen im Schwimmbad, Wasserballett. An einer anderen Stelle weitet sich der Spalt wieder, und weil die normschönen Körper jetzt eine gelöste Haltung einnehmen, hat das etwas von einem Jugendstil-Fries, „Nymphen beim Bade“ oder so.

Manchmal hat die Choreografie etwas unfreiwillig Komisches

Die Konvention von „Nube“ kann einen ärgern, auch die unkritische Konzentration auf die Ästhetik schöner Körper, man muss aber festhalten, dass der Abend tänzerisch beeindruckend ist. Zumal Vidal im dritten Akt Störungen einbaut: Die gemeinschaftlichen Bewegungen lösen sich auf, zunehmend werden Solos getanzt, rauer, störrischer, und die elektronischen Klänge beginnen, in den Ohren zu zerren. Da wird dann deutlich, dass es hier gar nicht ausschließlich um Harmonie geht, dass zwischendrin auch Ausbrüche möglich sind, die interessante szenische Lösungen mit sich bringen.

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So endet der Abend nicht wirklich entschieden: als künstlerischer Genuss, als technisch beeindruckendes Arrangement, aber eben auch seltsam ungenau. Ein bisschen, als ob man sich im Nebel verirrt hätte und nicht so recht weiß, was von der Situation zu halten ist.

„Nube“bis 23. März, 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter 27094949, www.kampnagel.de