Hamburg. Das könnte sich lohnen: Am 26. März liest die Belgierin Lize Spit im Literaturhaus aus ihrem Kurzroman „Der ehrliche Finder“.

Jimmy ist ein Sammler. Ein Sammler und Finder „von Weltrang“. Ein Junge, der ganz in seiner Innenwelt lebt und dessen „Beruf“ vor allem darin besteht, „ehrlich und achtsam“ zu sein, anders als sein Vater, der Versicherungsmakler, der erst das halbe Dorf betrogen und dann die Familie verlassen hat. Leerstellen auffüllen – es ist auch diese Sehnsucht nach familiärer oder emotionaler Vollständigkeit, die Jimmys Sammelleidenschaft antreibt. Er fischt Münzen aus Süßigkeitenautomaten und Einkaufswagen, überall dort, wo Menschen ihr Kleingeld nachlässig in den Rückgabefächern vergessen. Vor allem aber sammelt er mit heiligem Ernst-Flippo-Bildchen aus Chipspackungen. Weshalb es aus seiner Sicht keinen größeren Liebesbeweis für seinen besten – und einzigen – Freund Tristan geben kann, als eine von Jimmy sorgfältig angelegte Flippo-Sammelmappe. Aber Tristan hat ganz andere Sorgen.

Lize Spit: „Der ehrliche Finder“, S. Fischer, 127 Seiten, 18 Euro.
Lize Spit: „Der ehrliche Finder“, S. Fischer, 127 Seiten, 18 Euro. © S. Fischer Verlage | S. Fischer Verlage

Lize Spits Kurzroman „Der ehrliche Finder“, den der Verlag offenbar nicht „Novelle“ nennen mochte und den die Belgierin Ende März im Hamburger Literaturhaus vorstellt, erzählt von der einerseits unwahrscheinlichen, andererseits geradezu zwingenden Freundschaft zwischen zwei grundverschiedenen Jungen. Jimmy ist ein Außenseiter mit autistischen Zügen, Tristan das Flüchtlingskind aus dem Kosovo, das auf den einzigen freien Platz der Klasse neben ihn gesetzt wird. Sie komplettieren einander: Jimmy bringt Tristan und dessen zahlreichen Geschwistern die flämische Sprache bei und bekommt dafür endlich einen Gefährten, der ihn sogar zum Übernachten einlädt.

Belgische Bestsellerautorin verbindet im Literaturhaus Jungsfreundschaft mit Abschiebestory

Obwohl Tristans albanische Familie in Flandern unter provisorischen Bedingungen lebt und vom Balkan-Krieg und von der Flucht schwer traumatisiert ist, spürt Jimmy bei ihnen eine Warmherzigkeit und einen Zusammenhalt, der ihm zu Hause abgeht: „Die Imbrahimis waren eine komplette Sammlung für sich. Plötzlich konnte er sich vorstellen, weshalb manche Menschen sich nicht für das Füllen von Mappen interessierten.“

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Lize Spit, deren mehrfach ausgezeichnetes Debüt „Und es schmilzt“ ein Bestseller nicht nur in Belgien war, hat sich für ihren mittlerweile dritten Roman an einer wahren Begebenheit aus ihrem eigenen Heimatdorf bei Antwerpen orientiert. Ende der 1990er-Jahre wurde dort einer zehnköpfigen Familie, die ihr in Belgien geborenes Kind aus Dankbarkeit nach dem belgischen König Albert nannte, erst nach langem Kampf Asyl gewährt. Im Roman heißt das Baby Paola, nach Alberts Frau, der Königin.

Lize Spit: Unter all den Ereignissen dröhnt es düster

Und Lize Spit braucht nur wenige Seiten, um ein ganzes Panorama aufzufächern, sie konzentriert sowohl die Hoffnung als auch die Ausweglosigkeit auf die beiden Heranwachsenden. Die Angst vor der plötzlich angekündigten Abschiebung, die unendlich grausamen Erfahrungen des gewaltsam Vertriebenen sowie die Lebensumstände des nur vermeintlich unbeschadet Aufgewachsenen führen bei ihr zu einer tragischen Verkettung von Persönlichkeiten und Ereignissen.

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Tristan schmiedet einen tollkühnen Plan und hat Jimmy als ein von ihm zu rettendes Opfer auserwählt, „sodass ich ein Nationalheld werde und vom König eine Ehrenmedaille bekomme und eine Urkunde und die Staatsbürgerschaft“. Dabei findet Lize Spit inmitten der sich auftürmenden Verzweiflung sogar Zeit für Situationskomik: Die Bedeutsamkeit, mit der Jimmy Partner-Krawatten für die von ihm ersehnte Sammler-Gemeinschaft bastelt, oder die „Prüfung“ vor der eigentlichen Heldentat, für die er sich in eine Wanne mit eiskalten Wasser legen muss, von Tristans Schwester heruntergekühlt mit Tiefkühlerbsen und eingefrorenem Rotkohl.

Aber unter all dem dröhnt es längst düster. Fast filmisch, wie ein Coming-of-Age-Thriller liest sich die ungemein dichte, präzise Story, die von Mut und Solidarität erzählt, aber auch von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein. Und deren „Showdown“ unvermeidlich scheint.

Die Autorin liest am 26. März im Literaturhaus Hamburg. Karten zu 14/10 Euro bzw. 6 Euro (Streaming-Ticket) gibt es unter www.literaturhaus-hamburg.de