Hamburg. Der Hamburger Pop-Pionier ließ seine Karriere in der ausverkauften Elbphilharmonie Revue passieren. War das der Abschied von der Bühne?

Warum spricht die Generation der Hamburger, die noch über den spitzen Stein stolpert, den Star-Club eigentlich „Schtah Klub“ aus? Achim Reichel müsste es wissen, er hat dort mit den Rattles gespielt und den Laden 1969 zusammen mit Frank Dostal und Kuno Dreysse für die letzten Monate seiner Existenz übernommen. Aber auf den Star-Club und Musikprojekte der Folgejahre wie Wonderland oder A. R. & Machines kommt Reichel nicht zu sprechen bei seinem ausverkauften Konzert am Donnerstag im Großen Saal der Elbphilharmonie. In seinem Programm „Schön war es doch“ dreht sich alles um seine Mitte der 70er-Jahre eingeleitete Solokarriere.

Und auch über die gibt es eine Menge zu erzählen, und Reichel tut das sehr ausführlich, musikalisch wie mit langen Ansagen. 140 Minuten lang und über 21 Lieder zieht sich der Reigen, den „Der Spieler“ mit sechsköpfiger, instrumental gut ausgestatteter Band präsentiert. Zum Auftakt gibt es gleich eine auf acht Minuten gestreckte Version von „Fliegende Pferde“ und „Wahre Liebe“. Großer Applaus rauscht an Reichels In-Ear-Monitor-Kopfhörern vorbei: „Ich habe vergessen, meinen verdammten Ohrhörer anzuknipsen. Ist doch schön, wenn man sich besser hören kann. Das hat aber nichts mit dem Alter zu tun“, scherzt er.

Volles Haus: Achim Reichel und Band im ausverkauften Großen Saal der Elbphilharmonie.
Volles Haus: Achim Reichel und Band im ausverkauften Großen Saal der Elbphilharmonie. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Achim Reichel: Das Programm des Abends gibt es schon als Live-Album

Mit „Am besten du gehst“, „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, „Sophie, mein Henkersmädel“, „Nis Randers“ und „Exxon Valdez“ hangelt sich das Ensemble an der Titelliste des im Januar erschienenen Live-Albums „Schön war es doch – Das Abschiedskonzert“ entlang, das auf den Touren 2019 und 2023 mitgeschnitten wurde: „Die Leute kamen zum Fanartikelstand und wollten das Programm auf Platte haben“, erzählte Reichel dazu im Januar, „und dieses Jahr können die Leute in der Elbphilharmonie endlich das Album kaufen.“

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Dichter und Denker, Romantiker und Kritiker. Fontane, Morgenstern, Reichel, Knef. Von „Regenballade“ bis „Herr von Ribbeck“, von Folk und Shanty bis Rock und Mariachi legt die auf Persern stehende Band den Teppich für Reichels Raufaserstimme aus. Das hat über die Zeit manche Längen, das „Bak-Badugu“ der Congas des Percussionisten Yogi Jockusch ist hypnotisierend. Nur einige Zwischenrufe, dass eine Box schlecht klingt (verstärkte Konzerte im Großen Saal, immer ein Gewinnspiel) und Liedwünsche („Sa-Lo-Me!“) und unverständliches, nach 20 Jahren Elbschlosskeller klingendes Gegröle aus den oberen Rängen (Reichel: „Interessante Tonart, tut‘s irgendwo weh?“) fallen aus dem entspannten, meditativen Rahmen.

Achim Reichel: „Aloha Heja He“ wurde im China zum TikTok-Trend

Mit Beginn des letzten Konzertdrittels kommt aber mehr Leben in die Elbphilharmonie. „Steaks und Bier und Zigaretten“ und „Halla Ballou Bale“ werden fröhlich mitgeklatscht und mitgesungen. „Ja schön, so kriege ich die Zeit auch rum“, freut sich Reichel. Bisher war er 2017 mit seinen avantgardistischen Ur-Synthesizer-Fliewatüüts A. R. & Machines 2017 und Lesungen seiner Autobiografie „Ich hab das Paradies gesehen“ 2020 im Großen Saal zu erleben. Und jetzt schwappt die „Aloha Heja He“-Welle durch die Sitzreihen, der Hit von 1991, der es 2021 irgendwie noch auf Platz 1 der Shazam-Charts und zum TikTok-Trend in China geschafft hat.

Vielleicht war und ist Achim Reichel der erfolgreichste Vielseitigkeitsreiter der deutschen Popmusik: „Ich habe nie eine Masche so lange geritten, bis mir das Pferd unter dem Arsch zusammengebrochen ist. Mal hier eine Idee, mal da eine. Das habe ich immer durchgezogen und dabei das Glück gehabt, dass es immer ein Publikum gab, das sich dafür interessierte. Das ist doch paradiesisch“, sagte er im Januar. Das Publikum ist immer noch da, steht auf und fordert Zugaben. Es könnte ja das letzte „Abschiedskonzert“ in Hamburg sein.

Achim Reichel: „Abschiedskonzert“ heißt nicht Abschied von der Bühne

Wobei Achim Reichel auch an diesem Abend erneut betont, dass der Abschied vom Tourneeleben nicht bedeutet, dass er nicht mehr auf Bühnen stehen wird. Aber nach einer Woche Konzertreise spüre man das eben in den Knochen, wie er zugibt. Dabei wirkt er jetzt absolut nicht, als würde er die Körper- und Seelenspannung nicht mehr halten können. Seine Stratocaster-Gitarre macht da schon mehr Zicken.

Besser in Stimmung als seine Stratocaster: Achim Reichel bei „Der Spieler“.
Besser in Stimmung als seine Stratocaster: Achim Reichel bei „Der Spieler“. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Also geht es für Reichel und Band noch einmal zurück auf die Bühne. „Kreuzworträtsel“ und „Leben leben“ leiten die Verlängerung ein: „Da machste echt was mit.“ Die letzten Zeilen, es geht schon langsam auf Mitternacht zu, gehören aber Eichendorffs „Mondnacht“: „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.“ In Kiel hat Reichel danach vor wenigen Tagen noch „Halt die Welt an“ gesungen. Aber auch ohne dieses Finale ist der Konzertabschluss gut gewählt. Die Zeile „So sternklar war die Nacht“ begleitet einen zu den Taxi-Konvois vor der Elbphilharmonie. Sternklar ist es. Nicht in Hamburg, aber im Herzen.