Hamburg. Hamburger Musiker veröffentlicht Autobiografie „Ich hab das Paradies gesehen“ und liest daraus beim Harbour Front Literaturfestival.
„Sie hatte einen schlanken Hals und einen wundervoll geschwungenen Körper. In meiner Phantasie sah ich uns bereits in verzückter Umarmung abenteuerliche Verrenkungen anstellen“, schreibt Achim Reichel über sein erstes Mal. Allerdings: Gemeint ist keine Frau, sondern eine Gitarre. Die, mit der alles anfing: Seine Karriere, die nun schon fast 60 Bühnenjahre währt, die ihn um die ganze Welt führte und bis an die Spitze der Charts.
Ein Hamburger Jung, geboren in Wentorf, aufgewachsen auf St. Pauli, mit Blick auf Hafen und Fischmarkt. Statt in die Fußstapfen des Vaters zu treten und zur See zu fahren, wählte Reichel, infiziert vom Rock ‘n’ Roll eines Bill Haley und Little Richard, die Musik. Wie es dazu kam und was daraus bis heute wurde, erzählt er nun in seiner Autobiografie „Ich hab das Paradies gesehen“, die er am 12. und 13. September im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals in der Elbphilharmonie vorstellt. Beide Termine sind ausverkauft.
Später Triumph
Dabei geht es ebenso um einen Badeunfall, bei dem er als Kind fast ertrunken wäre, wie um eine Jugendstrafe, zu der er verurteilt wurde, weil er mit gezinkten Zwei-Pfennig-Münzen Zigaretten aus einem Automaten zog. Aber der Schwerpunkt liegt natürlich auf der Musik: Da ist die Zeit mit den Rattles, der erfolgreichsten deutschen Beatband, die Krautrockphase mit A.R. & Machines, die mit Goldenen Schallplatten belohnte Hinwendung zu Shantys und Volksliedern, die eigene Produzententätigkeit – und schließlich der späte Triumph, als Achim Reichel im September 2017 nach der Wiederentdeckung seiner Soundexperimente aus den 70ern im Großen Saal der Elbphilharmonie frenetisch gefeiert wurde.
Das alles schreibt der inzwischen 76-Jährige klar strukturiert und mit sympathischer Bescheidenheit auf. Vom Jahrmarkt der Eitelkeiten hält er sich fern, das Waschen schmutziger Wäsche ist seine Sache nicht. Allerdings hätte man sich doch häufig tiefere Einblicke gewünscht. So wird die Episode, in der Reichel zu den Betreibern des Starclubs gehörte und finanziell mächtig baden ging, nur sehr oberflächlich abgehandelt, auch zur schwierigen Beziehung zum ehemaligen Rattles-Kollegen Frank Dostal (1945–2017), der ihm lange aus dem Weg ging, ist nur wenig zu erfahren.
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Und dass es bei den Rattles nach Konzertende ziemlich wild werden konnte, wird lediglich kurz angerissen, als Reichel beschreibt, wie er sich plötzlich einem Vaterschaftstest unterziehen musste. Dafür geht es seitenlang um einen ziemlich ereignislosen Urlaub auf Jamaika, bei dem sogar ein ebenso ereignisloses Mau-Mau-Spiel ausführlich Erwähnung findet. Da hätte es eines konsequenten Lektorats bedurft. Aber vielleicht wollte Reichel das auch nicht, schließlich hat er immer getan, was er für richtig hielt. Und das meist mit Erfolg.
Achim Reichel: „Ich hab das Paradies gesehen“ Rowohlt, 384 Seiten, 24 Euro, erscheint am 15.9.