Hamburg. Das Leipziger Gewandhausorchester, Andris Nelsons und der Geiger Leonidas Kavakos agieren im Großen Saal mit zwei Publikumslieblingen.

Es gäbe durchaus gewagtere und im Überraschungsbereich bessere Konzertideen als die traditionelle Kombination von Tschaikowskys Fünfter mit dessen Violinkonzert, zwei garantiert sichere Nummern. Doch wenn man Andris Nelsons ist und mit einem derart traditionellen Traditionsorchester wie dem Leipziger Gewandhaus auf Europatournee geht, will man dieses Rad vielleicht auch nicht dringend von Grund auf neu erfinden, sondern möchte auswärts lieber mit dem vertrauten und allseits beliebten Tafelsilber glänzen. Eine kleine, sehr gediegene Runde durchs Spätromantik-Museum stand also an, in der Abteilung „Meisterwerke des 19. Jahrhunderts“, mit gleich zwei reinen Tschaikowsky-Abenden hintereinander in der Elbphilharmonie.

Wie schön, dass der Tournee-Solist Leonidas Kavakos keiner jener anstrengenden Überdruck-Virtuosen ist, die gerade dieses ohnehin nicht kalorienarme Stück zuverlässig mit einer dicken Vibratoschicht verkleben. Dieses Stilmittel setzte er nur sehr zurückhaltend ein, so blieb sein Part klar, aussingend und durchhörbar, geschickt eingebettet ins Tutti, das sich dafür mit allerliebsten Pianissimo-Zaubereien insbesondere des Holzbläser-Satzes bedankte.

Elbphilharmonie: Tschaikowsky, wie aus der Zeitmaschine gefallen

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Die vielen Höchstschwierigkeiten – je weiter im Werkverlauf, desto heikler die Aufgaben – waren für Kavakos natürlich kein Problem, im Gegenteil, er sauste geradezu sportiv und mit enormer Präzision über alle Hürden, in alle Lagen, mit einer Tongestaltung, die gut ohne Tränchenbeschwerung auskam. Nelsons’ ergänzender, grundierender Blick auf dieses Konzert war einer, der sich jede unnötige Eile in der Ausformulierung verkniff. Die beiden nahmen sich alle Zeit, die sie wollten, um eine sehr effektstarke Balance zwischen Sentimentalität und Aufbrausen zu finden und sie im Lot zu halten.

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Auch die Fünfte war eine Lektion in gereifter Orchester-Exzellenz. Natürlich war die Präzision der Leipziger Kapelle im Zusammenspiel, im gemeinsamen Ein- und Ausatmen bei der Gestaltung der motivischen Linien bestechend. Da saß alles, da wackelte nichts, da war immer ausreichend Luft unter den Orchester-Flügeln. So klangsatt und wertkonservativ, wie Nelsons diesen russischen Spätromantiker auf der Bühne ausbreitete, wollte man schon im ersten Satz am liebsten sofort nach Baden-Baden ins Casino reisen, alles auf die Null setzen, es sich danach auf einem morschen Landgut vor Moskau im Schnee mit Wodka und Schwindsucht ungemütlich machen oder wenigstens den verarmten Nachbar-Adligen mit einer Duellpistole vor seinen Schöpfer schicken.

So kam es, dass alles reichlich drin war, was man von einem guten alten Tschaikowsky-Festakt erwarten durfte: großes Pathos und große Aufschwünge, zartherbe Stimmungsschwankungen und depressives Grübeln, prächtig funkelndes Blech, leise ins Nichts versterbende Holzbläser-Seufzer, einige elegante Walzer-Drehungen und ein druckvoll aufmarschierendes Finale mit allen Pauken und Trompeten, das wie aus der Zeitmaschine gefallen klang.

Zweites Gewandhausorchester/Nelsons-Konzert in der Elbphilharmonie: 27.2. 20 Uhr: Ouvertüre „Der Wojewode“, „Hamlet“-Ouvertüre, Sinfonie Nr. 6. Restkarten. Aktuelle Aufnahmen: Bruckner/Wagner „Symphonien/Orchestermusik“ mit dem Gewandhausorchester Leipzig (DG, 10 CDs, ca. 47 Euro). Schostakowitsch: Sinfonien Nr. 2, 3, 12, 13. Boston Symphony Orchestra (DG, 3 CDs, ca. 30 Euro). „Bach: Sei Solo“ Leonidas Kavakos (Sony Classical, CD ca. 13 Euro).