Hamburg. Der Künstler Sebastian Blasius übersetzt Fremdheit und Flucht im Kunstverein Harburger Bahnhof in eine körperliche Erfahrung.

Man ist zum Essen geladen. Die Stimmung ist angespannt, 13 Augenpaare starren einen passiv-aggressiv an, die servierte Suppe wirkt wenig appetitlich. Und der stoisch puckernde Beat sorgt auch nicht dafür, dass sich die unbehagliche Stimmung verflüchtigt – es ist der eigene Herzschlag, der durch Sensoren am Handgelenk gemessen und dann per Lautsprecher in den Speisesaal übertragen wird, Bu-bumm, Bu-bumm, Bu-bumm.

Sebastian Blasius lässt einem keine Fluchtmöglichkeit aus der immersiven Performance „Vanitas“ im Kunstverein Harburger Bahnhof. Man sitzt alleine mit den Darstellern im holzvertäfelten Raum, man kann nicht anders, als Teil des Geschehens zu werden, man muss sich verhalten. Die Tischgesellschaft scheint etwas von einem zu erwarten, sollte man das Gespräch suchen? Besser nicht. Die Alternative ist aber, dass man sich abschottet, dass man den Blicken trotzt und zum reinen Beobachter wird. Auch nicht richtig.

Theater Hamburg: Es gibt muffig riechende Suppe und viele unbequeme Blicke

Denn nach einer Weile werden Texte gesprochen, ernsthaft, vergleichbar einem Tischgebet. Es geht um die Abschiebepraxis in Deutschland, ein syrisches Linsengericht wird vorgestellt, schließlich erfährt man von den Grauen der Belagerung Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg. Irgendwann zieht sich ein Performer aus, bricht zusammen und liegt fortan nackt in der Ecke, irgendwann werden Stühle getauscht, nach und nach verschwinden die Beteiligten im Nebenraum. Und wer noch da ist, der verunsichert den Besucher. Der muss den Blicken standhalten, darf keine Angst zeigen. Das Herz wummert.

Blasius schafft ein Gefühl der Fremdheit, ähnlich den Installationen des Künstlerkollektivs Signa am Schauspielhaus. Aber während Signa aufwendige Arrangements entwickelt, braucht Blasius nur wenige Ausstattungselemente: den Raum, geprägt von einer tief bürgerlichen Stimmung, die kurz davor ist, ins Repressive zu kippen. Die leicht muffig riechende Suppe. Den Sound. Und die Darsteller, 13 ganz unterschiedliche Performer, Männer, Frauen, Junge, Alte. Man versucht, etwas aus der Gemeinschaft herauszulesen: Hat der dunkelhäutige Junge eine bestimmte Funktion? Ist der Mann an der Stirnseite des Tischs eine Art Anführer? Wer ist die Frau, die einem Suppe serviert? Dass man keine befriedigende Antwort findet, verstärkt den gespenstischen, nicht fassbaren Charakter der Arbeit.

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Eine halbe Stunde dauert der Trip, dann wird man ins Bahnhofsgebäude entlassen. Bis Sonntag gibt es halbstündige Slots für „Vanitas“, eine Voranmeldung ist zwingend notwendig – pro Aufführung ist nur ein Zuschauer zugelassen. Was auch sinnvoll ist: Man will sich ja dem dunklen Geheimnis dieses schwer erträglichen Essens schutzlos ausliefern.

Sebastian Blasius: „Vanitas“ Bis Sonntag, 10. März, 12 bis 18 Uhr, Kunstverein Harburger Bahnhof, im Fernbahnhof über Gleis 3/4, Hannoversche Straße 85, Terminbuchung: www.kvhbf.simplybook.it/vs/