Hamburg. Ein Ermittlerinnen-Duo der Kontraste: König ist ultrahart, Böwe soft. Und eine Junkie-Mutter will das große Ding drehen. Sehenswert!
Einmal sitzen die gerade, nach Bukows Abschied, als Ermittlerinnenduo neu aufgestellten Kommissare König (Anneke Kim Sarnau) und Böwe (Lina Beckmann) im Café. Der lokale Zuhälter soll ein paar Infos rüberwachsen lassen, es geht um eine ehemalige Mitarbeiterin, wenn man das denn so nennen kann. Böwe isst genüsslich Kekse, und in diesem Kauen liegt Genuss, Ruhe und auch so etwas wie Optimismus.
Es kann alles furchtbar sein, Tote gibt‘s ja eh immer – in diesem Fall eine 74-jährige Ex-Journalistin, die im eigenen Wohnzimmer stirbt –, aber diesmal halt auch eine Junkie-Mutter und Gelegenheitsprostituierte, die mit ihrer Fünfjährigen gemeinsam im Club auf die Toilette geht, um sich einen Schuss zu setzen. Die sich mit dem Kind auf Diebestour begibt. Aber Melly Böwe glaubt nicht nur an Kekse, sie glaubt auch an diese junge Mutter, die so hoffnungslos der Droge verfallen ist, im Mittelpunkt von Mordermittlungen steht und auch noch eigene Pläne verfolgt.
„Polizeiruf 110“ mit Lina Beckmann: Der softe Gegenpart von Anneke Kim Sarnau
Die neue „Polizeiruf 110“-Folge trägt den Titel „Diebe“ (Regie: Andreas Herzog, Buch: Elke Schuch) und konturiert entschieden die Unterschiede zwischen Katrin König und Melly Böwe. Die bei Hamburger Pflegeeltern aufgewachsene König („Nie eine Karte zum Geburtstag – du kannst nicht nach 40 Jahren auftauchen und mir dann am Arsch kleben wie ‘ne Klette“) schlägt sich mit ihrem mit einem Mal sehr anhänglichen leiblichen Vater (Wolfgang Michael, dem jüngeren Publikum gut aus „Die Discounter“ bekannt) herum und glaubt weder an späte Familienzusammenführungen noch an die Verlässlichkeit von Drogensüchtigen.
Aber Melly Böwe tut das, und damit ist sie als softer, sich noch etablierender Gegenpart zum vom Ostseewasser unrettbar aufgerauten Rostock-Cop König (gedreht wurde übrigens wie immer auch in Hamburg) die Frau, der man sich als Zuschauer nur zu gerne anschließt. Böwe sorgt im Laufe der Handlung dafür, dass Mascha (Heroin-bleich: Meira Durand) Holli (Mathilda Graf) heimlich sehen kann, nachdem die Behörden ihr das Mädchen längst weggenommen haben.
„Diebe“ ist ein ziemlich guter Krimi, weil er mit Mascha eine Täter-Opfer-Figur installiert, zu der man sich als Betrachter nie gleichgültig verhalten kann. Sie war am Tatort, und sie weiß, wer noch da war. Ein Senioren- und Pflegefonds, der betuchte alte Menschen abzockt, rückt ins Zentrum der Ermittlungen. Da haben dann auch die Rostocker Stammkräfte Anton Pöschel (Andreas Guenther) und Volker Thiesler (Josef Heynert) ihren Auftritt. Pöschel („Viel Spaß noch beim Spargelschälen“) ermittelt einmal gewohnt robust beim Finanzberater-Pärchen in der Küche, mit dem die Zeugin Mascha auf unheilvolle Weise in Verbindung steht. Auf der einen Seite die prekäre Heroin-Butze Maschas, auf der anderen der Neubau mit Trampolin im Garten: Dieser „Polizeiruf“ kennt die Fallhöhe des Lebens. Die Träume sind am Ende bei allen gleich.
Krimi im Ersten: Wie nah lässt man jemandes Schicksal an sich heran?
Es geht um die Frage, wie viel guten Glauben man in Menschen haben kann, die nichts oder alles zu verlieren haben. König („Du kannst gar kein Arschloch sein, oder?“) lernt dabei ihre neue Kollegin besser kennen, hat mit ihrem Erzeuger aber auch gleich den zweiten Fall an der Backe, bei dem die Frage zu klären ist, wie nah man jemandes Schicksal an sich heranlässt.
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Der Rostocker „Polizeiruf 110“ bleibt auch nach dem Wechsel von Hübner zu Beckmann stabil und eines der Aushängeschilder des NDR.
„Polizeiruf 110: Diebe“ 25.2., 20.15 Uhr, ARD