Hamburg. Der Anti-Atze-Schröder spielt bei seinem Auftritt gekonnt mit dem Publikum. Am Ende sorgt er für ein traurig lustiges Finale.
- Torsten Sträter zu Gast in Hamburg – der Comedian sorgt für Hochstimmung in der Barclays Arena
- Mit Ruhrpott-Charme und Alltagsgeschichten begeistert er sein Publikum
- Witze über die Hells Angels und Markus Lanz sorgen für Gelächter, am Ende wird es dann traurig
Um kurz nach halb elf, da stellt Torsten Sträter in der Barclays Arena in Hamburg die Frage: „Worum ging es?‟ Nicht ganz unberechtigt. Denn der Komiker aus dem Ruhrgebiet ist keiner, der seine Pointen überoffensichtlich mit Karnevalstusch markiert. Vielmehr folgt das Publikum (allzu gerne) seinem mit Witzen und Weisheiten, mit Absurditäten und Anarchie gespickten Erzähl- und Assoziationsstrom.
Als er also eine halbe Stunde vor Ende versucht, die Essenz seines Programms herauszuarbeiten, da ist die Halle bereits gänzlich durch- und weichgespült vom humoristischen Sträter-Flow. Ein Mann vergräbt sein Gesicht bebend vor Lachen in den Händen. Eine Frau scheint sich kaum beruhigen zu können von einer Art hysterischem Glucksanfall. Einer anderen laufen Tränen über die Wangen.
Torsten Sträter in Hamburg: Diesen Comedian muss man sich nicht schönsaufen
Schon erstaunlich: Einen Abend, bevor eine Band wie Depeche Mode zum großen konzertanten Spektakel lädt, richtet sich die Aufmerksamkeit im bis unters Dach besetzten Saal schlicht auf einen Stehtisch mit Wasserflasche und Hocker. Sagen wir also mal so: Der Arenen füllende Sträter reist nicht gerade, wie große Show-Produktionen, mit zwölf Trucks und riesiger Crew durchs Land. Schmales Besteck, große Wirkung.
Vor Beginn der Show fängt eine Herrengruppe im Foyer den Bierrucksackträger ab und lässt sich einschenken. Doch den Sträter, den muss man sich nicht schönsaufen. Auch ohne Vorglühen sind die Lachmuskeln von Anfang an auf Betriebstemperatur. Dunkles Sakko, dunkle Jeans und natürlich die schwarze Signatur-Mütze an bärtigem Gesicht. Fertig ist die Comedy-Figur Sträter. Quasi der Anti-Atze-Schröder. Obwohl: Auch ein Sträter spricht durchaus handfest. „Dass ich mit der Kacke so weit gekommen bin“, sagt er mit Blick ins große Rund. Durchaus gerührt und dankbar.
Torsten Sträter macht Ansage: „Was sind Sie: Wutbürger?“
Munter plaudert der 57-Jährige mit markant sonorer Stimme mit seinem „Referenzpublikum“ in der ersten Reihe. „Was ist mit der zweiten Reihe?“, ruft da eine Frau aufmüpfig. „Was sind Sie: Wutbürger?“, kontert Sträter unter viel Gelächter.
Aufgrund eines Staus kommen diverse Gäste zu spät. Arbeiten sich einzeln, als Paar oder in Gruppen im Halbdunkeln zu ihren Plätzen vor. Das wird schnell zum Running Gag. „Ah, die Hells Angels“, begrüßt er eine rockiger anmutende Clique. „In der zweiten Reihe herrscht ziemliche Unruhe, können Sie da mal gucken?“ Darauf tönt es aus eben jener Ecke: „Wie fühlst du dich?“ Sträter trocken: „Wer bist du, Markus Lanz?“
Torsten Sträter „schaut deutscher Sprache beim Verwesen zu“
Lässig verquickt er diese süffisante Interaktion mit seinen Anekdoten und Geschichten. Über Omma (stilecht Pott-Deutsch mit zwei m). Und vor allem über Mutti. Einer ihrer Aussprüche gibt seiner Tour den Titel: „Mach mal das große Licht an.“ Noch lieber hätte er im Nachhinein jedoch einen anderen Satz von ihr verwendet. Wenn sie einst in seinem Jugendzimmer stand und sagte: „Hömma, riechst du das nicht?“
Sträter, das ist erdige Satire mit Herz. Und zugleich fein justierte Komik, die in seinem thematischen Zick-Zack-Lauf wie soeben ausgedacht wirkt. Von der Kindheit auf den Straßen von Waltrop geht es hinein in einen Eins-a-Straßen-Rap. Und bei der Drive-in-Aufforderung „Vorfahren!“ erläutert Sträter mal eben ausführlich seine Ahnenfolge.
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Wunderbar echauffieren kann er sich über sprachliche Verknappungen und Ungenauigkeiten. Oder, wie er es nennt: „Der deutschen Sprache beim Verwesen zuschauen.“ Da muss sein Sohn ebenso herhalten („ich schwör, safe!“) wie abgelauschte Gespräche im Supermarkt. „Advocado, was soll das sein? Ein Gemüse, das dich verklagt?“
Torsten Sträter in Hamburg: Der Schluss ist traurig und lustig – und richtig gut
Mal lehnt er locker am Stehtisch, mal bringt er seine Worte mit Intensität an die Bühnenrampe. Seine Inspiration zieht er aus kleinsten Beobachtungen und Erinnerungen. Die Tatsache etwa, dass seine Mutti den Diamantohrring von Smokie-Sänger Chris Norman früher „flott“ fand, wird zum wiederkehrenden Motiv des Abends.
TikTok und KI, Bluthochdruck und Kardiologenbesuch – Sträter liefert einen verbalen Ritt durch Zeitgeist und Generationen. Und immer wieder schimmert, wie bei richtig gutem Humor, das Existenzielle durch. Platz 1 beim Frühstück: „Dass man noch am Leben ist“, Platz 2: „Knack & Back“, was in eine brüllend komische Schilderung mündet, wie sich die Teigröhre öffnen lässt. Und ob das nicht zu einigen „Aktenzeichen XY...“-Fällen geführt haben möge.
Ganz zum Schluss, nach der Frage, worum es denn wohl wirklich geht, fügt Torsten Sträter in einem Text über die Beerdigung seiner Mutter viele Fäden und Twists kongenial zusammen. Das ist traurig und lustig. Und richtig gut.