Hamburg. Der Tourauftakt in der Hansestadt ist ein Express-Heilmittel gegen das Spießertum – obwohl der Sänger das Konzert fast abbrechen muss.

Der Rotwein darf nicht getrunken werden, ohne dass dem ein 30-minütiger Vortrag über die Herkunft und Behandlung der Trauben vorausgeht? Und sowieso nie, ohne zuvor wissend dreinblickend ins Glas gerochen zu haben? Der Feierabend hat meist wenig mit feiern zu tun und mehr mit Auf-der-Couch-Verschimmeln? Und das Sonnabendabend-Highlight der letzten Wochen war ein Spieleabend, der bis 23 Uhr ging (oh, là, là)?

Dann wird es mal wieder Zeit, das wuchernde Spießertum wegzuätzen – zum Glück gibt es ein schnell wirksames Heilmittel: ein Konzert der Punkrock-Band Schmutzki. Die drei Stuttgarter spielten am Donnerstag den Auftakt ihrer „Schmutz de la Schmutz“-Tour im Gruenspan in Hamburg.

Schmutzki in Hamburg: Tickets zum fairen Preis

36 Euro kosten die letzten verfügbaren Tickets an der Abendkasse – ein humaner Preis, bei dem man nicht gleich Privatinsolvenz anmelden muss und an dem sich andere Musiker gerne ein Beispiel nehmen dürfen (bei Taylor Swift dürfte man mit mehr als 200 Euro im unteren Bereich sein). Im Inneren der immer wieder bezaubernden Konzertlocation auf St. Pauli werden die Gäste bereits um 20 Uhr von einer Duftmischung aus Fußschweiß, Bier und eklatanter Lebensfreude begrüßt: Hurra, Festival-Stimmung im Februar!

„Drei Meter Feldweg“, so heißt die Punkrock-Vorband aus der Lüneburger Heide, die mit ansteckender Energie in den Abend startet. Linkspolitische Zeilen auf fetzigen Gitarren-Klängen und ein Frontsänger, dessen theatralische Mimik und Gestik auch als ruppiger Ausdruckstanz durchgehen könnte. Viele Menschen laufen an dem Abend in Band-Shirts herum, einige führen auch ihren Hurricane-, Southside- oder Rock-am-Ring-Merch aus. Und noch mal mehr tragen knallrote Oberteile mit fetter Schmutzki-Aufschrift.

Konzert von Schmutzki in Hamburg: Das Publikum im Gruenspan glüht vor Hitze – oder vor Freude?
Konzert von Schmutzki in Hamburg: Das Publikum im Gruenspan glüht vor Hitze – oder vor Freude? © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Konzert Gruenspan: Sänger der Band ist heiser, zieht aber dennoch durch

Denn genau für den dreckigen Schmutz aus Stuttgart sind sie hier: Mit viel Tamtam und einem epischen Intro treten die drei Herren gegen 21 Uhr selbstironisch auf die Bühne, jemand wirft vor Begeisterung Konfetti (es wird nicht das letzte an dem Abend bleiben, die arme Putzkraft). Der Bassist Dany Horowitz schafft es irgendwie, bereits zu Anfang triefnasse Haare zu haben – aber auch egal, denn schon schmettern sie ihren ersten Song „Disko Diktatur“ und fragen das Publikum: „Seid ihr bereit, so weit zu gehen?“. Sieht ganz so aus.

Doch ist auch der Sänger Beat Schmutz bereit? „Meine Stimme kackt jetzt schon ab, vielleicht wird es noch schlimmer, und ich muss abbrechen. Aber egal, ob wir morgen und übermorgen noch auftreten können – Hauptsache, wir ziehen den Tourauftakt in Hamburg durch!“, krächzt die offensichtlich heisere Stimme von Schmutz. Welch ein hervorragender Nachname, zum Glück ist der Mann nicht Lehrer geworden.

Der Sänger von Schmutzki, Beat Schmutz, ist am Konzertabend angeschlagen: Aber das hält das Stuttgarter Trio nicht davon ab, einen grandiosen Abend hinzulegen.
Der Sänger von Schmutzki, Beat Schmutz, ist am Konzertabend angeschlagen: Aber das hält das Stuttgarter Trio nicht davon ab, einen grandiosen Abend hinzulegen. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Schmutzki startet Tour in Hamburg: Zwischen Party-Punk und Systemkritik

Musikalisch bewegt sich die Band in der Festival-Party-Punk-Szene („Sauflied“, „Zeltplatz Baby“) – ein paar politische Texte, Systemkritik und diplomatische Friedensangebote („Dein Gelaber ist wie Mundgeruch, halt‘s Maul“) sind ebenfalls zu finden. Gesungen wird‘s von der rotzig-kratzigen Schmutz-Stimme, dazu gibt es scharfkantige Riffs und rotzige Rhythmen vom Schlagzeuger Flo Hagmüller.

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Das Highlight des Abends steht jedoch für alle hanseatischen Rocker-Herzen fest: Wenige Tage vor dem Konzert brachte die Band den Song „Molotow Must Stay“ heraus. „Hamburg sei nicht dumm!“, heißt es im Text – eine gut gemeinte Warnung von Stuttgartern, die beim Thema Clubsterben wissen, wovon sie reden. Im Chor ruft die Meute: „M-O-L-O-T-OW!“. Der Sänger Schmutz hat sogar passende Socken an: „Ohne Scheiß, das darf nicht sterben, okay?“ Okay, Brosda?

Konzert von Schmutzki in Hamburg: Bassist Horowitz ist wahre Rocker-Erscheinung

Kernig, kerniger, Horowitz: Der Bassist ist wahrlich eine solch atzige Erscheinung, er springt auf und ab, schüttet sich zur Abkühlung Bier über den Kopf, wetzt sein Haar umher. Er versprüht solch eine schwerelose „Fuck it“-Lebenseinstellung, dass man sich selbst kurz hinterfragt: Warum eigentlich brav zur Arbeit gehen, wenn man mit einem Dosenbierchen in der Hand von Konzert zu Konzert, von Festival zu Festival reisen kann, à la „Sex, Drugs & Rock ‘n‘ Roll“? Und dann fällt es wieder ein: Ach, ja – Geld verdienen. Kapitalismus und so. Mist.

Wie gerne würde man dem Sänger Schmutz zum Ende hin eine heiße Zitrone mit Honig reichen, so verkratzt klingt seine Stimme. Doch er hat tapfer durchgezogen: Zwei Stunden lang volle Power, mit Durch-die-Menge-Quetschen, Auf-der-Bühne-Feiern, Abklatschen. Sowieso, wer schon immer mal Crowdsurfing ausprobieren wollte, kann dies an jenem Abend tun. Dutzende gleiten über die Menge. Glücklich schwitzend und mit ein paar blauen Flecken mehr – der Moshpit ist schuld – werden die Schmutzki-Fans um 23 Uhr in die Donnerstagnacht entlassen. Der Spießer in ihnen hat Sendepause.