Hamburg. Die Hamburgerin Karen Köhler hat ein tolles Kinderbuch geschrieben. Ein Gespräch über neues Publikum – und tragische politische Fehler.

Zuletzt erschien ihr Roman „Miroloi“, bekannt wurde sie mit dem Erzählungsband „Wir haben Raketen geangelt“. Jetzt legt die Hamburgerin Karen Köhler, Jahrgang 1974, ihr erstes Kinder- und Jugendbuch vor. „Himmelwärts“ ist die Geschichte zweier Freundinnen. Beide sind zehn, eine hat ihre Mutter verloren. Dann gibt es Hilfe aus dem All. Ein Gespräch über Kinder und das Schreiben für Kinder.

Sie schreiben seit vielen Jahren für das Kinder- und Jugendtheater. Stoffe für Kinder, wie muss man als Erwachsener drauf sein, um die gut hinzubekommen?

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, ob ich es gut hinbekomme. Vielleicht habe ich mir eine gewisse kindliche Neugier bewahrt, eine innere Haltung, die in der Lage ist, etwas für möglich zu halten, was den erwachsenen Geist in seinem Zwang, Kontrolle zu bewahren, auszuhebeln vermag. In unserer Fantasie können wir unfassliche Abenteuer erleben, haben die Möglichkeit, unerhörte Reisen vorzunehmen, wie toll ist das bitte? Für Kinder zu schreiben ist aus meiner Perspektive literarisch ein Geschenk. Ich bin einfach auch sehr gern mit Kindern zusammen, da klickt irgendwas bei mir.

Ihr guter Bekannter Saša Stanišić hat zuletzt auch Kinder- und Jugendbücher verfasst. Wie finden Sie die?

Fantastisch! Saša macht so geniale und ultrakomische Wendungen in „Hey, hey, hey: Taxi!“ beispielsweise. Er hebelt das Erwartbare aus, das gefällt mir. Aber das macht er ja auch in seiner Literatur für Erwachsene. Er ist einfach ein sehr guter Erzähler für alle Alter.

Karen Köhler über ihr neues Buch „Himmelwärts“: „Kinder sind ein fantastisches Publikum“

Mit wem tauschen Sie sich aus, wenn Sie an einem Werk für junge Rezipienten sitzen?

Mein Weg ins Schreiben hat damit begonnen, für Kinder und Jugendliche zu schreiben. Ich komme ja vom Theater, habe viele Jahre als Schauspielerin gearbeitet, irgendwann suchte mein damaliger Intendant eine Idee für das kommende Weihnachtsmärchen. Ich gab ihm eine Geschichte zu lesen, die ich für meine Nichte geschrieben hatte, und er meinte: „Mach daraus ein Theaterstück“. Ich so: „Häh? Nee! Das muss ein Profi machen, ich kann doch nicht schreiben.“ Er so: „Probier es doch mal.“ Na ja, und irgendwann saß ich mit 800 Kindern in meiner eigenen Premiere, und ich dachte: Okay. Wow. Krass. Sie folgen ja meiner Geschichte! Ich muss dazu sagen, dass ich auch total gerne für Kinder auf der Bühne stand, no fame, but gain: Kinder sind ein fantastisches Publikum, das so viel zurückgibt.

Wie recherchieren Sie?

Wenn ich fürs Kinder- und Jugendtheater schreibe, sind das oft Auftragswerke zu einem vorgegebenen Thema, dann recherchiere ich vorher gründlich im Zielgruppenalter: Beschäftigt die das Thema wirklich? Und wenn ja, wie? Beispielsweise meine Trilogie für das DNT Weimar, da war der Arbeitsauftrag, zum Thema Rechtsextremismus zu schreiben. Dann dachte ich mir: Okay, was weiß ich Wessi denn von den Jugendlichen in Thüringen? Also bin ich für drei Monate nach Weimar gegangen und habe einen Fragebogen als Büchlein drucken lassen, in dem ich den Jugendlichen aus unterschiedlichen Schulen, also nicht nur den Vorzeigegymnasien aus Weimar, sondern auch Schulen mit schwer erziehbaren Kindern oder Real- und Hauptschulen auf dem Land, Fragen gestellt und das Thema verdeckt recherchiert habe.

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Und dann?

Die Fragebögen wurden von denen anonym ausgefüllt und mir in Umschlägen versiegelt zurückgegeben, niemand außer mir durfte sie lesen. Ich habe leider keine eigenen Kinder und muss deswegen immer auf andere zurückgreifen. Austausch findet aber auch mit der Dramaturgie am Theater statt, oder mit befreundeten Kindern. Bei jetzt erscheinenden Kinderroman „Himmelwärts“ hatte ich eine damals zehnjährige Erstleserin, die noch vor meinem Verlag oder irgendwem anderen den Text lesen durfte. Danach haben wir uns darüber ausgetauscht.

Karen Köhler: „Eigene Endlichkeit wird von Erwachsenen oft verdrängt“

„Himmelwärts“ ist ursprünglich ein Theaterstück, das nun zum Buch wurde. Es erzählt eine berührende Geschichte. Toni, 10 Jahre alt, hat ihre Mutter verloren. Aber sie hat eine beste Freundin, und irgendwann mit der zusammen auch eine Ansprechpartnerin im All: eine Astronautin auf Mission. Es geht, im Kern, um den Tod. Was wissen Ihrer Erfahrung nach Zehnjährige darüber?

Ich glaube, dass im Bewusstsein unserer Gesellschaft der Tod zu sehr ausgeklammert wird. Er kommt ja aber für uns alle irgendwann. Er gehört zum Leben dazu. Die eigene Endlichkeit wird von Erwachsenen aber oft verdrängt, und eine gewisse Angst vor dem Sterben überträgt sich dann vielleicht auch auf die Kinder. Ich erlebe aber Kinder eigentlich als sehr neugierig mit Fragen rund um den Tod. Das Wissenwollen, was da eigentlich mit uns geschieht. Die abstrakte Schallmauer vom Nichtmehrsein. Ein befreundetes fünfjähriges Kind kam kurz nach dem Tod meines Vaters in meine Wohnung, da lag noch Papas Feuerwehrhelm, er war Feuerwehrmann, und das Kind fragte: „Was ist das denn?“ Ich: „Das ist der Feuerwehrhelm von meinem Papa“. Er: „Der ist doch tot, oder?“ Ich: „Genau.“ Er: „Wie mein Opa!“ Und dann haben wir ne Runde Deep Talk über das Vermissen und unsere Träume von den Toten gemacht und irgendwann zusammen eine Wunderkerze angezündet und dabei an die Toten gedacht. Danach haben wir Quatsch gemacht. Das hat sich ganz natürlich abgewechselt.

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Als wie ernst nehmen Sie Kinder wahr?

Zehnjährige stellen sich ja schon die ganz großen Fragen. Sie lernen gerade abstrakt zu denken. Gerade die jetzt Zehnjährigen haben ja die Pandemie voll miterlebt, und viele haben darüber auch angefangen über den Tod nachzudenken. Und meiner Meinung nach können Erwachsene da sehr viel von Kindern im Umgang lernen. Es kann auch leicht dabei zugehen.

„Himmelwärts“ ist kindgerecht, neben den tollen Illustrationen von Bea Davies, vor allem deswegen, weil es oft sehr lustig ist. Die Heldinnen finden Erwachsene ziemlich erwachsen, also auch absurd. Sind wir Erwachsenen so, absurd? Wissen Kinder manchmal besser, um was es geht?

Gute Frage. Ha! Ich glaube, Kinder haben noch so einen ungefilterten Zugang zum Herzen und reagieren dementsprechend ungehemmter auf Reize von außen. Sie beschränken sich nicht so stark durch den Geist, sondern suchen nach kreativem Ausdruck ihrer Empfindungen, sie können mehr im Augenblick sein, während Erwachsene fast nie mehr im Augenblick sind. Die sind im Kopf innerlich oft mit der Planung und Organisation der Zukunft beschäftigt oder regeln Vergangenes. Aber die Kunst, im Augenblick zu sein, beherrschen Kinder viel besser. Toni sagt in „Himmelwärts“ an einer Stelle, dass sie Erlebnismomente auf eine Lakritzschneckenschnur von Zeit fädelt und dass sie sich wünscht, dass da am Ende keine Hätte-ich-doch-Lakritzschneckenschnur dabei rauskommt.

Karen Köhler: „Die Gesellschaft wertet die Jugend ab“

Welchen Eindruck haben Sie von unserer Gesellschaft? Werden Kinder genug wertgeschätzt?

Leider nein. Ich empfinde unsere Gesellschaft oftmals sogar als explizit kinderunfreundlich. Das ist echt tragisch. Ein Wald aus bürokratischem Reglement. Wenn wir uns ansehen, welche Entscheidungen politisch getroffen werden für welche Zielgruppe und wie wenig Aufmerksamkeit der Zukunft, der Bildung und dem Wohlergehen der Kinder zugedacht wird … Kinder werden in ein Schulsystem gepresst, das sich auf Lehrmethoden beruft, die den heutigen Voraussetzungen gar nicht mehr gerecht werden. Sie sollen möglichst schnell in die Arbeitswelt gespült werden, damit sie schnell in die Kassen einzahlen und die Rentenlöcher stopfen. Ich empfinde das als total ausbeutend und bevormundend. Warum treffen Erwachsene weitreichende Entscheidungen und beziehen die Jugend, die es ja viel mehr betreffen wird, nicht mit ein?

Bei welchem Thema zum Beispiel?

Beim Klima zum Beispiel. Warum werden Jugendliche, die sich auf der Straße festgeklebt haben, um auf die dramatische Situation des Klimakollaps aufmerksam zu machen, als „Terroristen“ bezeichnet? Und ein 60 Jahre alter Bauer, der wichtige Zufahrtstraßen wegen billigen Diesels blockiert, der den Krankenwagen die Fahrt genauso verunmöglicht, eben nicht? Das sind Bilder und Werte, die die Gesellschaft da vermittelt, die doch vollkommen absurd und der Jugend gegenüber total abwertend sind.

Was machen wir Erwachsenen falsch?

Kinder ahmen nach, um zu lernen. Wenn du als Erwachsener in Gegenwart eines Kindes immer wieder im Smartphone verschwindest, im Augenblick nicht anwesend bist, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass das Kind das auch irgendwann tut. Wenn eine Gesellschaft Kindern das Gefühl gibt, dass sie nicht wichtig genug sind, werden die Kinder auch das nachahmen. Mich faszinieren Schulsysteme, die es wagen, Neues auszuprobieren wie beispielsweise in Finnland. Verbundenheit, Toleranz und Konzentration sind Fähigkeiten die wir brauchen werden, um dem globalen Klimakollaps kreativ zu begegnen.

Das Buchcover von Karen Köhlers Buch „Himmelwärts“ (Hanser-Verlag, 192 S., 19 Euro).
Das Buchcover von Karen Köhlers Buch „Himmelwärts“ (Hanser-Verlag, 192 S., 19 Euro). © Hanser Literaturverlage | Hanser Verlag

„Himmelwärts“ ist Ihrem Vater gewidmet. Wie Ihre Heldin haben auch Sie einen Verlust erlitten.

Ja. Genau. Mein Papa. Ich vermisse ihn sehr. Nie waren wir uns näher als in seinem Sterben. Sein Tod war wirklich ein großes und auch spirituelles Ereignis für mich. Es hat mich vieles gelehrt und mich fundamental verändert. Anders als bei einem Unfalltod, wo Angehörige abrupt mit Verlust konfrontiert sind, hatten wir das Glück, uns vorbereiten zu können: Zwischen seiner Diagnose und seinem Tod lagen vier Monate. Zeit wird tatsächlich zu etwas anderem. Augenblicke, die einem sonst wegrutschen, weil sie scheinbar banal sind, werden zu etwas Kostbarem. Gemeinsam die Sonne im Gesicht spüren. Eine Erdbeere essen. Die letzten gemeinsamen Pommes an der Elbe: Er einen, ich den Rest. Der letzte Blick meines Vaters, ich wusste, als er geschah, dass es der letzte sein würde. Das eigene Wesen zeigt sich in exakt so einem Moment: Ich habe ihn liebevoll und ermutigend angesehen, ich habe ihm versichert, dass er keine Angst zu haben braucht. Ich habe ihn in Liebe ziehen lassen.

Wer moderiert denn die Premierenlesung Ihres ersten Kinderbuchs? Wie stellen Sie sich Lesungen vor Kindern vor?

Die Lesung wird von Luka Haller, meiner mittlerweile elfjährigen Erstleserin moderiert. Wir freuen uns schon sehr! Ich stelle es mir ähnlich vor, wie für junges Publikum auf der Theaterbühne zu stehen: aufregend.

Karen Köhler liest aus „Himmelwärts“ 18.2., 11 Uhr, Centralkomitee Eintritt: bis 14 Jahre 7 Euro, alle anderen 16 Euro. Ab acht Jahren.