Harburg. Premiere von „Gott“ am Harburger Theater endet mit Standing Ovations. Warum es am Ende auf das Publikum ankommt. Nur noch zwei Termine.
Aufbrandender, langer Applaus, sechs Vorhänge für das Ensemble – zwar gab das im Durchschnitt etwas ältere Publikum im Harburger Theater die stehenden Ovationen lieber im Sitzen, aber seine Meinung war einhellig: „Das Stück war großartig!“ Es ging um ein ernstes Thema, Sterbehilfe. Die Begeisterung des Publikums galt dabei nicht nur dem Stück selbst, sondern auch der Umsetzung durch die Mimen.
Obwohl „Gott“ ein junges Stück ist, dürfte es bekannt sein: Die Doppelpremiere am Berliner Ensemble und am Düsseldorfer Schauspiel im September 2020 war heiß diskutiert. „Gott“ wurde noch im gleichen Jahr verfilmt und im Fernsehen ausgestrahlt. In Hamburg lief „Gott“ bereits in Altona und Bergedorf. Am Freitag hatte das Werk von Ferdinand von Schirach nun in Harburg Premiere.
Umstrittenes Thema, menschlich erzählt: Ferdinand von Schirachs „Gott“ im Harburger Theater
Zur Handlung: Richard Gärtner (Jacques Ullrich) möchte nicht mehr leben. Nach dem Tod seiner Frau fehlt ihm der Lebenswille. Gärtner ist kerngesund und hätte noch ein ganzes Stück Leben vor sich, doch er bittet seine Hausärztin um Beihilfe zum Suizid. Diese verweigert ihm die Unterstützung.
Normalerweise müsste die fiktive Ärztin den fiktiven Patienten, der aufgrund einer Lebenskrise eine Selbstmordabsicht hegt und diese offen ausspricht, in die Psychiatrie einweisen. Andernfalls würde sie sich haftbar und womöglich sogar strafrechtlich schuldig machen. Mit einer Einweisung wäre Schirachs Geschichte dann aber schon zu Ende.
Dirk Hoener gibt den Advokaten als lässig-arroganten Turnschuh-Juristen
Stattdessen holt der Autor einen aus theaterpraktischen Gründen stark eingedampften Ethikrat auf die Bühne: Sachverständige aus Justiz, Medizin und Kirche legen ihre Sicht auf das Recht am assistierten Suizid dar. Befragt werden sie von zwei Anwälten: Gärtners Advokat Biegler – Dirk Hoener gibt ihn als lässig-arroganten Turnschuhjuristen – und Dr. Keller, der im Ethikrat die Gegenposition vertritt. Ole Schloßhauer stellt Keller überzeugend gradlinig und konservativ dar, meist sachlich, gelegentlich leidenschaftlich.
Hier zeigt sich schon die Stärke der Aufführung: Der in den Argumenten hochtheoretischen Debatte über ein emotionsgeladenes Thema wird ein menschliches Gesicht gegeben. Das setzt sich auch bei den Sachverständigen fort, die zwar Institutionen vertreten, aber als Personen sprechen
Juristische Linien werden erst präzise dargelegt, in der Debatte dann häufig ignoriert
Kühl seziert Katrin Gerken als Verfassungsrichterin Litten die juristischen Aspekte: Gesetzeslage, Rechtsprechung, gesetzliche Neuerungen. Sie zeigt die feinen juristischen Linien zwischen Sterbehilfe, Tötung auf Verlangen, assistiertem Suizid und Sterbebegleitung auf, die ihre Nachredner und die Anwälte im Folgenden häufig ignorieren werden.
Für die Ärzteschaft spricht Professorin Sperling. Anne Schieber gibt sie als eine Frau, die sich auch mal verunsichern lässt. Dann spricht sie schneller, ringt mit den Händen, neigt den Kopf zur Seite.
Georg Münzel als Bischof Thiel spielt diesen ernst, würdevoll und stets die Contenance wahrend. Selbst wenn es Anwalt Biegler mal gelingt, ihn provokant aus der Fassung zu bringen, wird er höchstens kurz irritiert und emotional.
Das Urteil der Harburger Premieren-Zuschauer liegt im Bundesdurchschnitt
Nach gut 100 Minuten liegen die Empfehlungen der Experten vor, und das Publikum muss ein Urteil fällen. Darf Richard Gärtner das todbringende Mittel legal erhalten oder nicht? Stimmzettel werden ausgeteilt. 60 Prozent der Zuschauer stimmen im Sinne Richard Gärtners. 40 Prozent dagegen. Das Harburger Publikum befindet sich damit im bundesweiten Durchschnitt.
„Ich habe bereits andere Aufführungen des Stücks und auch den Film gesehen und bin von dieser Aufführung begeistert“, sagt Gabriele Heuschert, Vorsitzende des Hospizvereins Hamburger Süden. „Als Palliativmedizinerin habe ich natürlich eine sehr kritische Meinung zur Sterbehilfe, aber dass man sich damit auseinandersetzt, ist sehr wichtig!“
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„Das Stück bringt die Zuschauer dazu, sich mit wichtigen Fragen zu beschäftigen, das ist gut. Und hervorragend gespielt war es auch!“, urteilte Ralf Dieter Fischer, Jurist und Vorsitzender der CDU-Bezirksfraktion nach der Premiere.
„Solche Fragen verdrängt man gerne. Es ist aber wichtig, die Diskussion zu führen“, sagte die SPD-Bezirksabgeordnete Monika Hellmeyer. „Und so, wie das Stück gespielt war, war das hilfreich.“
Weitere Aufführungen: Mittwoch, 14. Februar, bis Freitag, 16. Februar, jeweils 19.30 Uhr; Sonnabend, 17. Februar, 15 Uhr. Karten unter www.harburger-theater.de oder an der Kasse des archäologischen Museums Harburg.