Hamburg. Philharmonisches Staatsorchester und Mezzosopranistin Claire Gascoin mit kitschverdächtiger Kammermusik in der Elbphilharmonie.

Wenn von „der Jahrhundertwende“ die Rede ist, dann ist auch heute noch meist die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gemeint. Eine fiebrige, hochkreative Zeit. Nirgends ist das klarer zutage getreten als im Wien Freuds und Schnitzlers, das auch das Wien des jungen Arnold Schönbergs war.

Dem 1874 Geborenen widmet das Philharmonische Staatsorchester zum 150. Geburtstag einen Schwerpunkt in seiner Kammermusikreihe im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Das 3. Kammerkonzert knüpft Beziehungen zwischen Werken von Schönberg und seinem Freund Alexander Zemlinsky, die beide um 1900 entstanden sind, und rahmt mit diesen die „Metamorphosen“ von Strauss aus den Jahren 1944/45 in der Fassung für Streichseptett ein.

Elbphilharmonie: Schönberg und Zemlinsky – ziemlich beste Komponistenfreunde

Sowohl Zemlinsky als auch Schönberg haben ihren Werken Gedichte von Richard Dehmel zugrunde gelegt. Wenn in Zemlinskys „Maiblumen blühten überall“ für Sopran und Streichsextett die Melodien sinnlich auffahren und dann im Nichts verebben, ist das schon sehr nah an den erotischen Vorgängen, die der Text andeutet.

Die Mezzosopranistin Claire Gascoin singt Dehmels hart kitschverdächtige Verse mit glühender Intensität und hervorragender Diktion. Die Musik steigert sich immer atemloser, bis der Geliebte am Ende der zweiten Strophe stirbt. Das Gedicht ist vorbei, aber bei Zemlinsky folgt die Verklärung. Die spielen die Streicher allein, die Sängerin steht da wie entrückt. Und alles andere – die Gegenwart, die Weltlage – sind plötzlich sehr weit weg.

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Strauss ging das nicht so, als er mit den „Metamorphosen“ kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges seinen Abgesang auf das untergegangene Europa schrieb. Einen sehr süffigen allerdings. Die sieben Streicher zelebrieren die süße Melodie hinreißend. Nur ganz manchmal hakt es leicht im hochkomplexen Gefüge.

Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“ nach der Pause (inspiriert vom gleichnamigen Gedicht Dehmels) gelingt dem Ensemble am kohärentesten. Die ästhetische Ähnlichkeit mit Zemlinskys „Maiblumen“ ist verblüffend. Unterm Sternenhimmel macht das Liebespaar eine Krise durch. Das ist so eindrücklich komponiert und so farbig musiziert, wer braucht da noch Text? Obwohl – vielleicht hätte Schönberg es sich ja anders überlegt, wenn er Claire Gascoin gekannt hätte.