Hamburg. Popstar James Arthur spielt mit Verstärkung in der ausverkauften Elbphilharmonie ein herrlich unprätentiöses Channel-Aid-Konzert.
Was ist eigentlich aus der schönen Tradition geworden, Feuerzeuge in der Luft zu schwenken, wenn ein Popkonzert auf die Sentiment-Spur gerät? Beim Channel-Aid-Konzert mit dem britischen Soulstar James Arthur vergangenen Freitagabend in der Elbphilharmonie gibt es keine Feuerzeuge (wäre vielleicht auch aus Brandschutzgründen nicht empfehlenswert), stattdessen erhält jeder Besucher eine kleine LED-Leuchte, die er sich ans Handgelenk binden soll.
Ansonsten braucht er nichts zu tun: Die Leuchten werden einzeln per Funk aktiviert, und wenn Arthur seine Stimme in höchste Höhen schraubt, ziehen bunte Lichtwellen durchs Publikum. Was gerade aus den oberen Rängen sehr hübsch aussieht, aber der Zuschauer wird so zur Lampe degradiert, das ist irgendwie, na ja … passiv.
Elbphilharmonie: James Arthur sing kein Charity-Konzert – aber doch für den guten Zweck
Die Pressesprecherin möchte nicht, dass Sätze wie „James Arthur singt ein Charity-Konzert“ zu lesen sind, weil: Channel Aid sei kein klassisches Charity. Die Künstler würden bezahlt, ebenso die (durchaus gesalzene) Saalmiete für die Elbphilharmonie, aber dennoch flössen Gelder an wohltätige Zwecke: Es gibt Livestreams des Konzerts auf YouTube und TikTok (deswegen „Channel“), und deren Werbeerlöse gehen an die Projekte „Chance to Dance“ (Tanzkurse für Menschen mit Behinderung) und die Kinderhilfsorganisation „Right to Play“. Also: James Arthur singt heute Abend KEIN Charity-Konzert. Er singt ein ganz normales, ziemlich hörenswertes Konzert, und dass nebenbei auch noch eine gute Sache unterstützt wird, dagegen kann niemand etwas haben.
Obwohl: Ein ganz normales Konzert ist das dann doch nicht. Weil es erst mal eine grundsympathische, aber bei einem Konzert irgendwie fehl am Platze wirkende Moderation durch Janin Ullmann gibt, die lang und breit das Geldsammelkonzept von Channel Aid erklärt, um dann den stellvertretenden britischen Botschafter Kieran Drake auf die Bühne zu zerren und ihn zu fragen, ob König Charles wohl auch gerade den Livestream schaue. Na ja.
James Arthurs Vorbands haben mit altbekanntem Elbphilharmonie-Problem zu kämpfen
Dann, weil der Auftritt von einem Vorprogramm eingeleitet wird, das weit über das klassische Support-Business hinausgeht. Zunächst spielt Singer-Songwriter Leroy Sanchez, im Anschluss die niederländische Rocksängerin Davina Michelle. Wobei bei deren Auftritt das mittlerweile notorische Elbphilharmonie-Problem zum Tragen kommt: Bei elektrisch verstärkten Konzerten ist der Sound alles andere als atemberaubend, der wuchtige, aufs Schlagzeug setzende Poprock drängt die eigentlich hörenswerte, weil eigenwillige Stimme der Sängerin in den Hintergrund.
Bei James Arthurs Auftritt ist das dann aber halbwegs zurechtgeregelt. Dessen Karriere begann zwar in Castingshows, aber der heute 35-Jährige ist künstlerisch eigenständig genug, um nicht als Teeniestar zu enden. Arthur spielt jenen typisch britischen R’n’B, der weniger als die US-Varianten auf schwarze Musik setzt (auch wenn der Sänger eine beeindruckende Soulstimme vorzuweisen hat), sondern auch Einflüsse von Britpop und Indierock zulässt.
Er ist ein Songwriter, der eigene Schwächen und Selbstzweifel in herzzerreißende Stücke fassen kann. Und schließlich kann er für sich beanspruchen, ein „Mann von der Straße“ zu sein: Arthur stammt aus Teesside, einem nordenglischen Industrierevier um die Stadt Middlesbrough, das vor allem durch Umweltprobleme und strukturwandelbedingter hoher Arbeitslosigkeit bekannt ist. So jemand darf vom Leiden singen, und man glaubt es ihm. Vor allem, wenn das Leiden so schön klingt wie in „Naked“.
James Arthur überzeugt mit und ohne Orchester
„Naked“ ist eine Pianoballade, aber es geht auch großformatiger. Arthur hat neben seiner vierköpfigen Band das „Lufthansa Orchester“ dabei, von Steven Lloyd-Gonzalez schwungvoll (und sympathieheischend) dirigiert. Nötig hätten die Songs diese Begleitung nicht: Das 65-köpfige Orchester setzt nur sanfte Akzente, die weitgehend die Elektronik aus den Studioaufnahmen ersetzen. Das verhindert zwar, dass die Musik in Streichersoße ertrinkt, bleibt aber dafür sehr zurückhaltend. Als Arthur seinen neuen Song „My Favorite Pill“ damit ankündigt, dass das Orchester jetzt mal Pause machen dürfe, merkt man diese Pause kaum – „My Favorite Pill“ rockt krachend, und die Stimme jubelt. Mit Orchester: ganz schön. Ohne Orchester: geht auch.
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Was dann zur Folge hat, dass der Auftritt ganz schön rockig daherkommt: „Empty Space“ lässt die E-Gitarren lautstark knarzen, „Can I Be Him“ ist eine akustisch federnde Folknummer, der Titelsong der neuen, Ende Januar erscheinenden Platte „Bitter Sweet Love“ rhythmisch vertrackter Pop. Am Ende ergibt das einen herrlich unprätentiösen Abend, bei dem der Star sich immer wieder selbst überrascht zeigt von der Wucht des Ambientes. „All Right, This Is Intense“ blickt er entgeistert in die ausverkaufte Elbphiharmonie, „In Ordnung, das ist jetzt intensiv“, und spätestens jetzt hat ihn das gesamte Publikum ins Herz geschlossen. „James, I Love You“, schallt es von den Rängen.
Und dass die doofen LED-Leuchten unpersönlich vor sich hinblinken, das hat man zu diesem Zeitpunkt längst vergessen.