Hamburg. In der Elbphilharmonie wusste man vorher nicht, welche Stücke gespielt werden. Nach fast drei Stunden gab es Standing Ovations.

Kunst oder Künstler? Was ist wichtiger? Die Idee, das Programm eines Konzertes nicht oder nur vage vorab mitzuteilen, ist nicht neu. Das Ensemble Resonanz hat es in Hamburg vor ein paar Jahren schon einmal versucht und ist davon wieder abgekommen. Der Künstler rückt stärker in den Fokus, egal, was gespielt wird, der Star soll gehört werden.

Der Pianist András Schiff steht nicht „im Verruf“, die Kunst zu vernachlässigen, aber auch bei seinem Recital in der Elbphilharmonie wusste man vorher nur, dass Bach, Mozart, Haydn und Beethoven gespielt würden. Es sei spontaner, das Programm an Ort und Stelle anzukündigen und die Werke ein wenig zu erläutern. Dadurch entstehe eine Verbindung mit dem Publikum, war von András Schiff vorab zu lesen. Auch das ist richtig, aber es soll durchaus noch Leute geben, die ins Konzert gehen, weil sie ganz bestimmte Stücke hören wollen. Nichts wäre bei dem spannenden, fast dreistündigen Klavierabend anders gewesen, hätte man die Werke vorher gewusst. Sei’s drum, für sein faszinierend klares, geistig durchdrungenes, energetisches und packendes Klavierspiel und auch für seine humorvollen und immer klugen Moderationen wurde András Schiff zu Recht mit stehenden Ovationen gefeiert.

Sir András Schiff spielte in dr Elbphilharmonie bedächtig, konzentriert - in einem fast dunklen Saal.
Sir András Schiff spielte in dr Elbphilharmonie bedächtig, konzentriert - in einem fast dunklen Saal. © Daniel Dittus | Daniel Dittus

Der Saal fast dunkel, nur ein Lichtkegel auf den Flügel. Andächtig, langsam, geht András Schiff, die Hände vor dem Körper gefaltet, zu seinem eigenen Mahagoni-Bösendorfer-Instrument. Was wird er spielen? Keine Ansage. Dann kommt Bach, die Aria, das Thema der Goldberg-Variationen. Ein guter Einstieg, schönes fließendes Tempo, jede Stimme glasklar hörbar.

András Schiff in der Elbphilharmonie: Mehr Flexibiliät durch Nicht-Ankündigung des Programms

Danach greift Schiff zum Mikro, Bach sei der größte Komponist, alle hätten von ihm gelernt, auch Mozart zum Beispiel. Der Künstler erklärt, dass diese Konzertform mit Nicht-Ankündigung des Programms ein wenig mehr Flexibilität biete, als sich zum Teil jahrelang im Voraus auf bestimmte Stücke festlegen zu müssen. Stimmt natürlich. Mit Bach geht es weiter: „Capriccio über die Abreise des sehr geschätzten Bruders“, ein frühes Stück, Schiff erläutert die einzelnen Sätze und spielt wichtigste Stellen an, sehr hilfreich, man kann sie dann im Stück wiedererkennen. Danach noch mal Bach: Französische Suite G-Dur. Bach sei Europäer gewesen, eine deutsche Allemande, eine französische Courante, eine spanische Sarabande, italienische Gigue, und überhaupt der Brexit sei eine dumme Sache, man stelle sich nur vor, die Gigue wolle aus der „europäischen Suite“ austreten, das geht gar nicht.

Der Clou aber ist „Eine kleine Gigue“ KV 574 von Mozart, nahtlos folgend auf Bach, eine Hommage an den Meister, klinge skurril, sagt Schiff, fast zwölftönig, aber viel schöner als Schönberg. Der „Pfeffer“, das „aufmüpfig-pieksige“ Staccato, das Schiff für die Mozart-Gigue wählt, spitzt jedenfalls die Ohren.

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Und noch einmal Bach und Mozart, ein Ricercar aus Musikalisches Opfer und eine Mozart-Fantasia, beides c-Moll, da wird Mozarts Inspiration noch deutlicher. Dann preist András Schiff vor der Pause den leider immer wieder unterschätzten Joseph Haydn mit seiner letzten Es-Dur-Klaviersonate. Wer sei schon auf die Idee gekommen, einen Sonaten-Mittelsatz in E-Dur zu wagen! Und dann der Witz, die überraschen „Stau-Pausen“ im von Schiff rasend, aber immer markant gespielten Schluss-Presto! Wow! Schon die erste Konzerthälfte dauert 90 Minuten, aber jede ist spannend.

Nach der Pause Beethoven, sechs Bagatellen und die Waldstein-Sonate. Wieder so klar, so lustvoll, so vollkommen verinnerlicht, so energetisch gespielt. Einfach ein großartiges Konzerterlebnis mit einem großartigen Künstler, der für jede Note, für die Kunst, brennt.