Hamburg. Der Barockkomponist Reinhard Keiser wurde vor 350 Jahren geboren, doch sein Jubiläum wird in der Musikstadt Hamburg nicht gefeiert.
Der Opern-Kunde war König, schon vor rund 350 Jahren, als Hamburger Bürgerinnen und Bürger sich in die Gänsemarktoper setzten, die damals – nach venezianischem Vorbild errichtet – enorm populär war. Gespielt wurde vor knapp 2000 Plätzen, was ankam, bekannte Hits aus Oper A wurden bedenkenlos in Oper B wiederverwendet, die Stücke mischten oft albernes Lokalkolorit, gern auch auf Platt, mit erhabenen Mythenstoffen.
Reinhard Keiser, heute wäre er ein gebürtiger Sachsen-Anhaltiner, war einer jener Ein-Kessel-Buntes-Komponisten, die ein Stück nach dem anderen auf diesen Gänsemarkt warfen; etwa 70 Opern verfasste er und damit mehr als doppelt so viele wie später der Vielschreiber Verdi. Doch von nur knapp einem Drittel ist das Notenmaterial erhalten.
Oper in Hamburg: Reinhard Keiser, der unbekannte Opern-Star vom Gänsemarkt
Dass der 350. Geburtstag Keisers, zu Lebzeiten auf Augenhöhe mit seinem Kollegen und Opernintendanz-Nachfolger Telemann, 2024 zu feiern wäre (belastbar bekannt ist nur das Taufdatum 12. Januar), spielt keine Rolle im Angebot der Musikstadt Hamburg, erst recht nicht in der Staatsoper. Noch nicht einmal für eine Gedenktafel hat es bislang gereicht.
20 Jahre ist es her, dass zum ersten Mal seit anno 1726 „Der lächerliche Prinz Jodelet“, randvoll mit Situationskomik, dort auf die Bühne gelassen wurde. „Keiser ist gewiss einer der wichtigsten Barockkomponisten, ohne den die Geschichte der Gänsemarktoper anders verlaufen wäre. Dennoch sind seine Werke heutzutage schwer umzusetzen, weshalb sie sehr selten auf den Spielplänen erscheinen. Im Gegensatz zu Händel oder auch Telemann sind Handlung und musikalische Gestaltung der Opern Keisers noch viel stärker der Entstehungszeit verhaftet“, begründet Intendant Georges Delnon diese Abstinenz. Ein Jubiläum sei zwar äußerlicher Anlass zum Gedenken, „kann aber die Relevanz eines Werkes für eine konkrete szenische und musikalische Umsetzung nicht begründen“.
„Größter Opernkomponist von der Welt“? Eher nicht.
Keiser ist weder ein so überragendes Opern-Genie wie Händel, der seine Lehrjahre in Hamburg absolvierte (und sich hin und wieder, immer ein Zeichen von kollegialem Respekt, bei Keiser bediente), noch ein europaweit bewunderter Alleskönner wie Telemann. Dass der spitzfedrige Musikschriftsteller Johann Mattheson Keiser als „größten Opernkomponisten von der Welt“ lobte, war zwar nett gemeint, ist aber sehr relativ.
Weil die Gänsemarktoper, deren Leitung Keiser 1697 mit nur 23 Jahren übernommen hatte, als Bürgeroper ohne finanzkräftigen Adel im Hintergrund immer wieder mal an der Pleite entlangschrammte, zog Keiser 1718 die Konsequenzen – und um, zunächst nach Stuttgart, dann nach Kopenhagen, bis er 1723 wieder nach Hamburg zurückkehrte. Die Opernleitung hatte inzwischen sein Freund Telemann übernommen, Keiser wechselte das Genre und verlegte sich als Domkantor auf Geistliches (er schrieb unter anderem das erste Passionsoratorium in deutscher Sprache), bis er 1739 starb.
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Seitdem gäbe es theoretisch viel Keiserliches zu entdecken, aber praktisch nur wenig zu hören. Seine „Störtebeker“-Vertonung bleibt Archiv-Staubfänger, sein „Croesus“ ein Luxus, den sich nur Spezial-Ensembles andernorts leisten. Immerhin, „Der gestürzte und wieder erhöhte Nebucadnezar, König zu Babylon“ kam kürzlich, spaßig aufgeschäumt, wieder auf eine Bühne. Allerdings in Heidelberg. Und im März würdigt Telemanns Geburtsstadt Magdeburg bei ihren Festtagen ihn und Keiser mit einem Doppelfestival als „Trendsetter“ des deutschen Barock. Für seine mit Abstand wichtigste Karrierestation jedoch gilt weiterhin das Wortspiel: Wenn Keiser, dann Roland.
Aufnahme: „Der hochmütige, gestürzte und wieder erhabene Croesus“ Röschmann, Trekel u. a. Akademie für Alte Musik Berlin, René Jacobs (harmonia mundi, 3 CDs, ca. 22 Euro)