Hamburg. Wolf-Dietrich Sprenger holt seine 32 Jahre alte Inszenierung von Samuel Becketts apokalyptischem Drama zurück nach Hamburg.
Alles ziemlich trostlos. Rena Donsbach hat ein Nicht-Bühnenbild gebaut, der Raum im St. Pauli Theater ist nackt, der Blick geht bis zur grob verputzten Bühnenrückwand, selbst das Hinweisschild für den Feuerlöschanschluss hängt noch da. Nur zwei minimalistische Kreidezeichnungen weisen darauf hin, in was für einer Welt man sich bei Samuel Becketts „Endspiel“ befindet: Ein Wellenkräuseln markiert ein Fenster, das zum Meer weist, eine gerade Linie ein zweites mit Ausblick auf Felder. Nur dass weder Felder noch Meer zu sehen sind. Die Welt ist untergegangen, nach einer nicht genauer beschriebenen Katastrophe, und wenn Clov aus dem Fenster schaut, dann sieht er immer nur: Grau. „Ein helles Schwarz“, präzisiert er, als ob das irgendetwas ändern würde.
Wolf-Dietrich Sprengers „Endspiel“-Inszenierung ist ein Remake. 1992 hatte der Schauspieler und Regisseur das Stück schon einmal inszeniert, am Thalia Theater mit Sven-Eric Bechtolf als blindem und gelähmtem Hamm, der in einem provisorischen Unterschlupf die Katastrophe überlebt hat und jetzt seinem Ende entgegenvegetiert, und mit Stefan Kurt als Clov, der den Hilflosen widerwillig umsorgt. 2003 gab es eine Wiederaufnahme in Zürich, in Hamburg war die Inszenierung aber nicht mehr zu sehen.
„Endspiel“: Vor einem Jahr entstand die Idee zum Comeback
Bei der Gedenkfeier zu Ehren des vor einem knappen Jahr verstorbenen Thalia-Intendanten Jürgen Flimm aber trafen sich Sprenger, Bechtolf und Kurt wieder und entschieden, das Stück ein weiteres Mal auf die Bühne zu bringen – im St. Pauli Theater, wo Flimm damals gedacht wurde. Neu dabei sind Barbara de Koy und Michael Prelle als Hamms in Mülltonnen hausende Eltern Nell und Nagg, die Realität von Klimakatastrophe und Ukraine-Krieg hat sich in Becketts 68 Jahre altes Stück eingeschrieben, ansonsten ist der Abend Theater, wie man es im Jahr 1992 noch für avantgardistisch halten konnte: große Schauspielkunst, darüber hinaus eher ereignisarm.
Wobei das hier allerdings passend ist. Ereignisarm ist Becketts Stück ja ebenfalls: Hamm wacht auf, Hamm tyrannisiert Clov, Clov blickt aus dem Fenster, manchmal schauen noch Nell und Nagg aus ihren Tonnen, das war es dann auch schon. Jeden Tag das Gleiche, keine Entwicklung, ein ewiger Niedergang: „Das Ende ist im Anfang“, heißt es im Stück, „und doch macht man weiter.“
„Endspiel“: Sprengers Inszenierung betont das Clownstheater
Was Sprengers Inszenierung betont, ist das Clownstheater, das eigentlich in allen Stücken Becketts nachweisbar ist – hier wird schon in Susann Günthers Kostümen deutlich, dass die Hassliebe zwischen Hamm und Clov eigentlich eine Beziehung zwischen zwei Clowns ist, die sich gegenseitig das Leben schwer machen. Günther also steckt Clov in einen seltsam verschnittenen Frack, während Hamm einen schweren Morgenmantel tragen muss, so mottenzerfressen und verstaubt wie dieses Theater als Ganzes.
Und das ist dann die zweite Spur, die Sprenger legt: Das, was hier zu sehen ist, ist ganz klar Theater. Hamm betont das sogar manchmal, indem er Clov seine Spielweise erklärt. „Das ist ein A-Part“, beschreibt er dann sein Beiseitesprechen. „Ich setze hier zu meinem letzten großen Monolog an!“ Von Anfang an hat man es in diesem „Endspiel“ nicht mit den Überlebenden einer Katastrophe zu tun, sondern mit Theaterfiguren, Überlebenden eines Theaterverständnisses, in dem klar und prononciert deklamiert wird und in dem sich Emotionen per Stirnrunzeln bis in die letzte Reihe vermitteln. Dass Großschauspieler wie Bechtolf und Kurt so etwas perfekt beherrschen, versteht sich von selbst, es weist sie allerdings auch als Überlebende nicht der Apokalypse, sondern eines Theaters aus, das so altmodisch wirkt wie die Koffer, die Clov über die Bühne wuchten muss.
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„Endspiel“: Nicht wenige Inszenierungen scheitern an der Konkretisierung
Man könnte „Endspiel“ auch anders fassen, als Familiengeschichte etwa. Das Elternpaar Nell und Nagg deutet das an, und es ist schade, dass die minimalistische Bühne die beiden nicht wie in der Vorlage in Mülltonnen steckt, sondern in die Unterbühne verbannt. De Koy und Prelle strecken dann nur die Köpfe aus dem Boden, was angesichts der Tatsache, dass die Reihen im St. Pauli Theater nur schwach ansteigen, dafür sorgt, dass das hinten sitzende Publikum kaum etwas sieht. Von hier aus ließe sich auch die eigenartige Beziehung zwischen Hamm und Clov erklären: Hamm wäre dann bettlägrig, und Clov würde unter der Pflege langsam selbst zerbrechen. Könnte man so machen, interessiert Sprenger allerdings nicht.
Was freilich auch in Ordnung ist. Beckett sperrt sich gegen Interpretationen, die meisten Inszenierungen, die das Stück zu konkretisieren versuchen, scheitern. Entsprechend hat die kunstimmanente Deutung Sprengers, die die Figuren als Teil der Theaterwelt liest, sicher ihre Berechtigung. Sie sorgt allerdings dafür, dass einem der Abend seltsam fremd bleibt.
„Endspiel“: Schauspieler mit Lust, Können und Kreativität
Wer das gegenwärtige Theater in seiner postdramatischen Diskurslastigkeit und beiläufigen Coolness ablehnt, der mag sich freuen, hier endlich einmal wieder wirklich tolle Schauspieler zu bewundern, die ihr Handwerk mit Lust, Können und Kreativität ausführen. Wer sich für Theatergeschichte interessiert, bekommt ein Anschauungsbeispiel dafür, wie die Bühnenkunst vor gerade mal 30 Jahren aussah. Und schließlich ist dieses „Endspiel“ auch noch das Wiedersehen mit einem großartigen Ensemble, das vor einiger Zeit das Hamburger Theaterleben prägte. Wirklich weiter bringt einen der Abend dabei zwar nicht, aber bei einem Stück, das davon handelt, dass es eben nicht weitergeht, ist das vielleicht gar nicht die schlechteste Erkenntnis.
Endspiel bis 10. Januar, Sonntag um 18 Uhr, Montag bis Mittwoch um 19.30 Uhr, St. Pauli Theater (S Reeperbahn), Spielbudenplatz 29–30, Tickets unter 47110666, www.st-pauli-theater.de