Hamburg. Musik und Handlung saugen den Betrachter der Wiederaufführung nach zehn Jahren Pause förmlich ein. Vor schütter besetzten Reihen.

Das anhaltende Klopfen des Xylofons lässt nichts Gutes ahnen. Es ist das Erste, das wir von Leoš Janáčeks Oper „Jenůfa“ in der Hamburgischen Staatsoper hören. Schon bevor Geigen und Oboen einsetzen, nimmt das Xylofon ihrem melancholischen Schwung die Unschuld. Der Kopf hat noch nicht andeutungsweise begriffen, worum es in der Oper gehen mag, aber das Herz hat eine Vorahnung. Musik und Handlung saugen den Betrachter förmlich ein.

Und das Bühnenbild erst recht: Es besteht aus holzverschalten Wänden und einem stark ansteigenden Fußboden, die auf einen Fluchtpunkt zulaufen. Nur am hinteren Ende öffnet sich der klaustrophobische Raum leicht zum Feld hin. Dass aus dem schiefen Boden eine Felskuppe herausschaut, nimmt man zunächst kaum wahr. Ein kleiner Störfaktor, um den herum die Figuren streiten, tanzen, flehen, mehr nicht. Aber das wird sich ändern.

„Jenůfa“: 1998 wurde das Stück an der Staatsoper inszeniert

1998 hat Olivier Tambosi Janáčeks berühmteste Oper an der Dammtorstraße inszeniert. Das Bühnenbild samt Stein stammt von Frank Philipp Schlümann, die Titelrolle sang damals die finnische Sopranistin Karita Mattila. Die Produktion wurde einhellig bejubelt, in der Folgezeit viel gespielt und ging sogar auf Reisen. Aber in Hamburg hat sie rund zehn Jahre im Dornröschenschlaf gelegen. Vergangenen Sonnabend war die Wiederaufnahme, vor leider recht schütter besetzten Reihen.

Klar, „Jenůfa“ ist kein Blockbuster. Um zu erleben, dass es die Oper an Dramatik und bezwingender Schönheit mit Wagner oder Strauss aufnehmen kann, muss man schon selbst hingehen. Am Vorabend war „Die Fledermaus“ gelaufen. Die war bestens verkauft, Operette, frivoler Stoff, wienerisch gefärbtes Idiom. Der Vergleich ist natürlich unfair. Aber gerade die Verständlichkeit dürfte „Jenůfa“ im Wege stehen. Sie nämlich wird in der Originalsprache gesungen.

„Jenůfa“: Die Oper wird auf Tschechisch gesungen

Das machen sie immer so an der Staatsoper, bei Janáček ist es aber in besonderem Maße geboten. Wie kaum ein anderer Komponist hat er die Gesangspartien bis in die feinsten Nuancen der Melodie der Umgangssprache nachgebildet. „Weil die Menschen im Leben nicht singen, sondern sprechen, muss man alle Arien, alle Lieder in der Oper dort ablehnen, wo sie nicht auch im wirklichen Leben vorkommen“, war sein Credo.

Sparsam eingesetzte Körpersprache: „Jenůfa“ an der Staatsoper.
Sparsam eingesetzte Körpersprache: „Jenůfa“ an der Staatsoper. © :Hans Jörg Michel | :Hans Jörg Michel

Tschechischsprachige können der Handlung von „Jenůfa“ also folgen wie einer Unterredung oder Auseinandersetzung im Alltag. Alle anderen müssen sich an die Übertitel halten. Oder sie überlassen sich dem, was von der Bühne und aus dem Graben kommt. Die Musik weiß ja alles, sie spürt den Seelenregungen der Figuren hauchfein nach. Die Sopranistin Laura Wilde in der Titelpartie klingt anfangs noch introvertiert und dringt nur verhalten durch das ständig bewegte orchestrale Klanggewebe, ähnlich die Mezzosopranistin Janina Baechle in der Rolle der Großmutter. Trotzdem teilt sich mit, dass Jenůfa in Not ist. Selbst der Großmutter, deren bedingungslose Liebe Baechle in wenigen Blicken deutlich macht, kann sich die Enkelin nicht anvertrauen.

„Jenůfa“: Die Regie setzt auf präzise, sparsam eingesetzte Körpersprache

Etwas darf nicht ausgesprochen werden in der erbarmungslosen Enge dieser Lebenswelt, das spürt man eher, als es zu denken. Die Regie schafft die Atmosphäre durch eine überaus präzise, sparsam eingesetzte Körpersprache. Jenůfas Stiefcousin Laca verrät schon durch die Heftigkeit, mit der er an einem Ast schnitzt, die verzweifelte Liebe zu der Schönen mit den „apfelglatten Wangen“. Genau diese Schönheit wird er zerstören und den Gang der archaischen Geschichte von Moral und auswegloser Schuld vorantreiben. Clay Hilley verkörpert diesen Laca im Ungestüm, aber auch in der wahren Größe seiner Liebe mit blühendem Tenor zwischen Empfindsamkeit und Wutausbrüchen. Wie Wilde kommt der Sänger aus den USA, wie sie geht er mit der tschechischen Diktion so souverän um, dass die Musik ihren Sinn entfalten kann.

Als Tunichtgut Stewa, Erzeuger von Jenůfas ungeborenem Kind, grinst, grapscht und torkelt Dovlet Nurgeldiyev durchs Bild. Auch wenn der Haustenor es stimmlich an Kontur fehlen lässt, wird die Fallhöhe zu Jenůfa sofort klar. Die Sünde einer vorehelichen Schwangerschaft ist ihre, nicht seine. Während er sich alsbald der Tochter des Dorfrichters zuwendet, muss Jenůfa Strafe fürchten. Auf ihr lastet der Stein, von dem sie nach der heimlichen Geburt des Kindes albträumt und der im zweiten Akt in voller Größe mitten im Raum liegt.

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Spätestens im zweiten Akt läuft Wilde stimmlich zu voller Größe auf. Jede Note nimmt man dieser in der Liebe enttäuschten, ihres Kindes beraubten und an Leib und Leben bedrohten Jenůfa ab. Die Partie der Küsterin, Jenůfas Stiefmutter, hätte Evelyn Herlitzius singen sollen, seit Jahrzehnten Sopranistin vom Dienst für das hochdramatische Fach. Für sie ist die Sopranistin Eliška Weissová eingesprungen. Ihr gelingt ein ergreifendes Rollenporträt dieser Frau, die, eingeklemmt in den rigiden Normen ihrer Welt und aus bedingungsloser Liebe zu ihrem Stiefkind, zur Mörderin wird.

All das fasst Janáček in eine überwältigende Vielfalt an Klangfarben. Der Tscheche Tomas Netopil und das Philharmonische Staatsorchester bringen sie zum Leuchten und reagieren blitzschnell auf die plötzlichen Wendungen der Partitur. So geht das große Opernglück. Zur Wiederaufnahme kamen übrigens auffallend viele Musiker und Musikerinnen, ein stilles Zeichen der Wertschätzung. „Jenůfa“ läuft diese Woche dreimal. Es gibt noch reichlich Karten.

„Jenůfa“ 9.1., 11.1. und 13.1., jeweils 19.00, Hamburgische Staatsoper (U Gänsemarkt), Große Theaterstraße 25, Karten zu 5,- bis 109,- unter T. 040/35 68 68; www.staatsoper-hamburg.de