Hamburg. Reim singt Songs vom Scheitern und Wiederaufrappeln. Der deutsche Mick Jagger ist er nicht. Aber mehr als ein Schlagerfuzzi.
Matthias Reim ist kein Schlagerfuzzi. Weswegen sein Konzert am Freitagabend in der Barclays Arena auch mit schweren Rockgitarren und wuchtigem Schlagzeug beginnt. Um dann in ein Medley zu münden, das mit Songs wie „Ich hab geträumt von dir“ und „Tattoo“ bei Licht betrachtet doch wieder Schlager ist. Allerdings Schlager, der musikalisch und textlich wenig mit dem zu tun hat, was man mit diesem Genre ansonsten verbindet.
Matthias Reim in Hamburg: „Verdammt, ich lieb‘ dich“ war Geschenk und Bürde zugleich
Denn: Heile Welt ist Reims Sache nicht. Sondern die Brüche des Lebens, die der heute 66-Jährige am eigenen Leib erfahren hat: Sein früher Hit, „Verdammt, ich lieb’ dich“ von 1990, war Geschenk und Bürde zugleich. Mit nachlassendem Erfolg kamen die Schulden, angeblich zeitweilig rund 15 Millionen Euro. Irgendwann: Möbelhauseröffnungen, als Karikatur seiner selbst. Frauengeschichten, eine tragischer als die andere. Aber Reim ist kein Gescheiterter, er ist ein Rocker, und ein Rocker nimmt solche Tiefschläge als Inspiration.
„Bin so manchen Weg gegangen / Es lief nicht alles nur nach Plan / Doch das Leben stellt die Weichen / Und irgendwie kommt man doch an“, singt er in „Wer nie durch Scherben ging“, und auf eine gewisse Weise ist das der Gehalt all seiner Songs: Reim erzählt die Geschichte vom Mann, der viel falsch macht und der sich doch immer wieder aufrappelt.
Und weil der Sänger all das selbst erlebt hat (und in der Boulevard-Presse weidlich ausbreiten ließ), glaubt man ihm diese Geschichte. „Ich hab’ schon viermal ja gesagt / Und elfmal besser nein / Doch bei dir hab’ ich gefühlt / Es muss noch einmal sein“, heißt es in „Lebenslänglich“, man möchte dem Sänger zurufen, dass er es doch besser wissen solle. Aber hilft ja nichts.
Matthias Reim ist eigentlich kein Showman
Dabei ist Reim kein Showman. Seine Bühnenpräsenz ist ausbaufähig, eine herausragende Stimme hat er auch nicht. Was er hat: gute Songs. Es kommt nicht von ungefähr, dass er lange vor „Verdammt, ich lieb’ dich“ als Songwriter gefragt war, für Szenestars wie Bernhard Brink und Roy Black. „Du warst wie die Sonne / Ich war wie der Mond / Das klingt zwar ziemlich dämlich / Aber es trifft die Sache schon“ – eine sprachgenaue Ironie wie „Ich hab’ mich so auf dich gefreut“ muss man erst mal hinbekommen.
Die Band um den Bassisten Martin Ziaja transportiert diese Songs druckvoll in die (in Bezug auf die Publikumskapazität deutlich verkleinerte) Halle. Ziaja plus drei Gitarristen, Keyboards, Schlagzeug, dreiköpfiger Chor, von Zeit zu Zeit greift der Sänger auch selbst zur Akustischen – alles in allem ist das tatsächlich mehr Rock als Schlager. Mit dem positiven Nebeneffekt, dass der für das Genre typische Mitklatschbeat, der auf den Studioalben die Melodien zukleistert, live nur selten zum Einsatz kommt.
Reim singt in Hamburg „Father and Son“ von Cat Stevens
Manchmal stehen dem Konzert die eigenen Ambitionen allerdings ein wenig im Weg. Sein ganzes Leben habe ihn Cat Stevens’ „Tea For The Tillerman“ begleitet, erzählt Reim, eine Platte, die er einst zur Konfirmation geschenkt bekommen habe. Und dann spielt er „Father And Son“ in einer deutschen Version, „Vater und Sohn“, nicht mal schlecht, zumal ihn dabei der eigene Sohn Julian begleitet.
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Aber es macht eine Fallhöhe auf, bei der die eigenen Kompositionen nur verlieren können. Ebenso beim Selbstbekenntnis-Song „Mein Herz ist Rock ’n’ Roll“: Wenn der am Ende in „It’s Only Rock ’n’ Roll“ der Rolling Stones mündet, dann fragt man sich nicht besonders lange, was wohl der raffiniertere Song ist.
Seinen größten Erfolg, „Verdammt, ich lieb’ dich“, spielt Reim erst als Zugabe, in einer verzögerten, dunklen Version, die Raum für Ambient-Flächen und Gitarrensoli lässt. Das ist einerseits souverän, andererseits aber auch auch ein Hinweis darauf, dass dieser Musiker immer ein wenig zu viel will. Reim will der deutsche Mick Jagger sein, das ist er nicht. Aber er ist auch mehr als ein Schlagerfuzzi.