Hamburg. Patrick Barlows Weihnachtsfarce ist am 22. Dezember letztmals in Hamburg zu sehen. Ein Abschied von einem echten Theaterklassiker.

Die Inszenierung von Patrick Barlows Weihnachtsfarce „Der Messias“ schien einen wahrhaft überirdischen Beistand zu haben. 35 Jahre lang lief sie an wechselnden Theatern, zu einem großen Teil in Hamburg. An diesem Freitag geht im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg die Dernière über die Bühne.

Das Ende ist nah: Letzter „Messias“ im Schauspielhaus

Bei ihr werden dann ein letztes Mal die beiden Hauptdarsteller André Jung und Michael Wittenborn als ungelenker Bernhard und pedantischer Theo stehen und versuchen, unter Übernahme aller Rollen von der frustrierten Hausfrau Maria bis zum Erzengel Gabriel die Weihnachtslegende zu erzählen – unzählige Pannen, Stolperer, Streit und Versöhnung inklusive. Intendantin Karin Beier ist kein Fan des speziellen Humors in diesem Stück, daher soll es nun verabschiedet werden. „Die Inszenierung ist eine Art Gratwanderung, die kippeln darf, aber nicht wegrutscht“, so Regisseurin Nikola Weisse.

Die heute 82 Jahre alte deutsch-schweizerische Schauspielerin und Regisseurin hatte die deutsche Erstaufführung des „Messias“ 1987 im Grips Theater eher zufällig miterlebt. Sie erschien ihr etwas grob geschnitzt. Die Hauptfigur des Bernhard aber gefiel ihr. Als sie dann den Schauspieler André Jung auf der Straße traf, sagte sie zu ihm: „Das ist deine Rolle, jetzt! Die Klassiker kannst du später noch spielen.“ Bald hielt auch Michael Wittenborn nach einer Kantinenbegegnung das Stück in der Hand. Es kostete dann noch etwas Überredungskunst, und das Darsteller-Duo war gefunden.

Die Inszenierung ist über die Jahrzehnte fast unverändert geblieben

1988 kam Nikola Weisses Inszenierung am Baseler Theater unter dem damaligen Intendanten Frank Baumbauer heraus. Als der dann 1993 ans Schauspielhaus nach Hamburg ging, nahm er den „Messias“ als Late-Night-Format mit. Von dort aus arbeitete sich das Stück langsam in den Spielplan vor und kehrte nach Stationen in Zürich – wo es überhaupt nicht ankam – München, Köln und Luxemburg immer wieder nach Hamburg zurück. Hier genießt es längst einen Klassikerstatus.

Die Inszenierung ist über die Jahrzehnte fast unverändert geblieben. „Wir haben nicht viel Aktualität reingebuttert. Das Einzige, was gewechselt hat, sind die Päpste, es waren insgesamt drei“, erzählt Nikola Weisse. Den Zauber des Longsellers erklärt sie sich so: „Es wirkt improvisiert, ist aber sehr genau erzählt. Das ist das Schöne, das Theaterwunder.“

Gegenwind kam eine Zeitlang von Katholiken in München, die es als Verunglimpfung der Weihnachtsgeschichte lasen. „Die Verwirrung der Weihnachtsgeschichte bleibt ja auch dadurch, dass die beiden versuchen, sie darzustellen, bestehen“, so Weisse. Letztlich gehe es um Streit und Versöhnung, also das, was viele Familien zu Weihnachten erleben. Auch um das Abtauchen in eine Kinderwelt, in der dem Publikum ein „dummer August“ und ein „weißer Clown“ begegnen, die ihre sehr menschlichen Figuren und letztlich auch die Weihnachtsgeschichte aber niemals verraten würden.

Zwischen Michael Wittenborn und André Jung ist eine Freundschaft entstanden

Gestritten und versöhnt haben sich über die Jahre auf der Bühne immer wieder die beiden herausragenden Schauspieler André Jung und Michael Wittenborn. Wird ihnen das fehlen? „Vor allem im zwischenmenschlichen Bereich geht ein Stück verloren“, meint André Jung. „Das Spannende an der Geschichte wurde ja immer mehr die Beziehung zwischen meinem Spielpartner und mir.“ Dabei haben sich die beiden eigentlich nur zur Aufführung am Jahresende gesehen. Auch Michael Wittenborn bestätigt eine über die Jahre gewachsene Freundschaft mit André Jung. Meist reisten sie, jeder für sich viel beschäftigt, angestrengt – und laut der Regisseurin eher stöhnend – kurz vor einer Wiederaufnahme an und nahmen sich in der Probe einige künstlerische Freiheiten heraus. „Dass es so lange Spaß gemacht hat, liegt auch daran, dass wir es geschafft haben, uns immer wieder aufs Neue zu überraschen“, sagt Jung.

Für Nikola Weisse hat die Erfolgsgeschichte des Stückes eher mit der Komik des Spiels von Jung und Wittenborn zu tun, weniger mit ihrer häufigen Einordnung als Karikatur einer freien Theaterszene. „Im Theater brauchte man ja lange den Schutz einer Figur, und wenn man die beiden sieht, steckt da viel von ihrer Persönlichkeit drin. Mittlerweile sind sie in die Rollen hineingewachsen und schützen die Figuren, und das ist eigentlich das Erlebnis an dem Abend.“

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André Jung gefällt, dass man spielerisch „auch mal die Sau rauslassen“ könne. „Das Stück handelt von zwei schlechten Schauspielern, die im Spiel einiges abreagieren. Man weiß zwar wenig von ihnen, aber sie sind voneinander abhängig. Der eine braucht den anderen als Reibefläche. Eigentlich geht es um die Heilsgeschichte, also um Liebe.“

Wittenborn hat anfangs mit seiner Figur gehadert. „Ich habe ja die eher undankbare Rolle des Theo. Ich bereite den Boden, auf dem Bernhard dann tanzen kann, und der sahnt von Anfang an schamlos ab. Aber natürlich gönne ich ihm das.“ Für Wittenborn handelt „Der Messias“ vor allem von Heilung. „Theo glaubt, dass es eine geistige Welt in uns gibt, und darum geht es in dieser Geburtsszene.“ Besonders rühmt er die dritte Rolle der Opernsängerin Frau Timm, die in den ersten Jahren Ursula Grossenbacher übernahm und die nun bereits seit 14 Jahren von André Jungs Tochter Marie Jung verkörpert wird.

Einige herausfordernde Artistik-Nummern sind heute nicht mehr möglich

Gemeinsam sind sie alle mit der Inszenierung älter geworden. Einige herausfordernde Artistik-Nummern sind heute nicht mehr möglich – Jung etwa hatte jahrelang in einer Szene einen Überschlag mit einem Fahrrad hingelegt. Dafür treten andere Details in den Vordergrund. „So, wie wir uns verändert haben, hat sich auch die Aufführung verändert“, sagt André Jung. Mühe, den Text wieder hervorzuholen, hat er nicht. „Den trägt man mit sich wie einen Schatz.“ Wittenborn erklärt sich das Geheimnis des Erfolges der Inszenierung so: „Ich glaube, das liegt an der Ernsthaftigkeit, die damit verbunden ist, die Komik zu erzeugen. Man muss ja witzige Rollen so ernst wie möglich und ernste so komisch wie möglich spielen. Und da ist uns schon einiges eingefallen damals, was über den Text hinausgeht.“

So recht mag er auch noch nicht an ein endgültiges Ende glauben. Es sei ja bislang immer irgendwo irgendwie weitergegangen. Wer weiß.

„Der Messias“ zum letzten Mal 22.12., 20 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de