Hamburg. Kunstspiel zum Mitmachen: Mariele Neudecker hat eine puderzuckrige Schneelandschaft entworfen und winzige Tannen daraufgesetzt.
Den romantischen Teil der Caspar-David-Friedrich-Ausstellung meint man eigentlich abgeschlossen zu haben. Nach mehr als 70 stimmungsvollen Gemälden mit nebligen Winterlandschaften, abendlichen Hafenansichten, Bergpanoramen, mit und ohne Wanderern, steigt man die Treppen hoch in die zweite Etage der Galerie der Gegenwart.
Dort trifft man auf zeitgenössische Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur auseinandersetzen oder ganz konkret mit dem Maler. Da geht es um schmelzende Eisblöcke, einsame nackte Männer im Gespensterwald und Giftwolken. Nicht besonders romantisch also.
Und dann, plötzlich, tauchen die Schaukästen von Mariele Neudecker auf: In einem von ihnen hat die Düsseldorfer Künstlerin (Jahrgang 1965) eine puderzuckrige Schneelandschaft entworfen und winzige Tannen daraufgesetzt. Nebel zieht über der Gebirgskette auf, der Himmel ist dunkel. „Gravity Prevents the Atmosphere from Drifting into Outer Space“ heißt diese „Tank Work“ aus dem Jahr 2001. Eine verglaste Unterwasserwelt mit Formen aus Fiberglas und Kunststoff, die 36 mal 44 Zentimeter misst und inklusive Sockel 160 Zentimeter hoch ist. Und die einen sofort gefangen nimmt.
Mit dieser dioramaartigen Arbeit bezieht sich Mariele Neudecker direkt auf ein Werk der Romantik: Caspar David Friedrichs Gemälde „Der Morgen“ (um 1821) aus dem Tageszeitenzyklus. „Ihre Interpretation greift die romantische Szenerie des anbrechenden Tages auf, deren besondere Stimmung hier vor allem durch das Motiv des aufsteigenden Nebels charakterisiert wird, und scheint sie auf den ersten Blick durch ihre Dreidimensionalität erfahrbar machen zu wollen.
Gleichzeitig bleibt das Landschaftsmodell in der verschlossenen Glasvitrine aber unerreichbar – so werden die Betrachterinnen und Betrachter vielmehr angeregt, die eigene Position in diesem (Natur)erlebnis zu reflektieren“, schreibt die Kuratorin Ruth Stamm im Katalog, der zur Ausstellung „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ erschienen ist. Markus Bertsch und Johannes Grave haben ihn herausgebracht.
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Die in Bristol lebende, mehrfach ausgezeichnete Künstlerin, die an der Universität Bath Spa als Professorin lehrt und alle Kunstgattungen von Malerei über Skulptur bis zu Videoarbeit und Installation beherrscht, referiert in ihren Kunstwerken häufig auf Themen und Bilder der Romantik. „Gerade die Auseinandersetzung mit idealisierten Landschaften und der Idee des Erhabenen in der Kunst ist ein wiederkehrendes Element“, so Stamm. „Ebenso fließen Neudeckers Reisen und ihre Beschäftigung mit aktuellen Forschungen und Technologien in diese Werkserie ein.“ Man kann ihre Arbeiten auch mit dem Klimawandel in Verbindung bringen. Indem sie eine unberührte Bergidylle im Schnee darstellt, verweist sie auch auf die Vergänglichkeit dieses Idylls.