Hamburg. Die Pianistin entfesselt mit ihrem Spiel eine enorme Sogwirkung – auch wenn es einmal hart am Rande des Kitsches entlanggeht.

Fliegende schwarze Locken, viel Haut, extravagante Kleider: Etwas Glamouröses umweht die Pianistin Khatia Buniatishvili. So geht jedenfalls die mediale Erzählung. Aber dann kommt da eine Frau auf die Bühne der Laeiszhalle, nimmt ohne jedes Gehabe den Begrüßungsapplaus entgegen, setzt sich an den Flügel und öffnet dem Publikum eine Welt, in der Marketing-Vokabeln wie Reichweite oder Aufmerksamkeit keinen Platz haben.

Khatia Buniatishvili: Was für ein magischer Abend in der Laeiszhalle

Knapp 75 Minuten dauert ihr Konzert bei ProArtes „Meisterpianisten“ nur. Das Programm ist eine Annäherung an Franz Liszt. Der Überpianist des 19. Jahrhunderts ist nicht nur mit eigenen Werken vertreten, sondern auch mit Bearbeitungen. Bachs Präludium und Fuge a-Moll BWV 543 Orgel hat er für Klavier arrangiert, ohne dem Original etwas überzustülpen. Und das tut auch Buniatishvili nicht. Zögernd, fragend beginnt sie, als folgte sie den Tönen, statt über sie zu herrschen.

Verblüffend ist ihre Fähigkeit, Zusammenhänge herzustellen, Spannung zu halten. Selbst wenn sie nur eine einstimmige Linie spielt, entfaltet sie eine Sogwirkung. Das Geheimnis wird irgendwo in ihrem Legatospiel sitzen, aber das ist ja das Wesen von Kunst, dass sie sich nicht rückstandsfrei erklären lässt.

Man überlässt sich Buniatishvilis Atem, der Anmut ihrer Stimmführung

Buniatishvili kann es sich leisten, die Bachsche Fuge über Minuten im Piano zu halten und den Hörern unaufgeregt Bachs filigrane Architektur vorzuführen. Nur die Forte-Ausbrüche im Bass verstören, weil sie mit der Atmosphäre des Geschehens in den oberen Lagen nicht verbunden sind.

Die „Appassionata“ von Beethoven legt Buniatishvili klanglich wie aus einem Guss an. Lyrische Passagen wechseln organisch mit rasanten. Darüber gerät allerdings die Zerrissenheit des Stücks in den Hintergrund. Ohne eine sprachnahe, geschärfte Artikulation fehlen diesem Beethoven ein paar Zähne. Wer will, kann auch hier damit fremdeln, dass Buniatishvili im Mittelbereich zwischen ihren betörenden Piani und ihren fast brutalen Forti ein paar Gestaltungsnuancen vermissen lässt. Bei Mozarts „Sonata facile“ dagegen – die heißt nur „einfach“, ist es aber gar nicht – vermisst man gar nichts, sondern überlässt sich Buniatishvilis Atem, der Anmut ihrer Stimmführung.

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So gelassen, wie Buniatishvili ihre Crescendi aufbaut, nähert sich auch das Programm dem Komponisten und Pianisten Liszt. Bei dessen Arrangements zweier Schubert-Lieder kratzt die Künstlerin hart am Kitsch entlang. Schubert ohne Polaritäten, das ist Richard Clayderman. Aber dann geht sie ohne Pause über in Liszts „Consolation“ und von dort aus zu der hochvirtuosen „Ungarischen Rhapsodie“. Zusammen wird ein Bilderbogen lisztscher Klavierkunst daraus, erzählend und lustvoll zirzensisch.

Jubel im Publikum, zwei schwungvolle Zugaben, noch mehr Jubel. Was für ein schlüssiger Abend.