Hamburg. „Randmeer“, erzählt auch von gewaltigen Stürmen. Und erscheint in Blankeneser Verlag, der eine großartige Natur-Reihe herausgibt.

In diesem Text, der sich stetig und gefällig über die Seiten des schmalen Bandes ergießt, gibt es, wenn man so will, raue Stellen. Immer dann, wenn es um die Gefährdung seines Gegenstandes geht. Und, auch das, um die Naturgewalten, die dieser Gegenstand nicht selten offenbart. Der Text ist also wie die Nordsee selbst.

„Randmeer“ heißt der Band, er ist dem Atlantik-Fortsatz im Nordwesten Europas gewidmet. Als eine Mischung aus Bestandsaufnahme, Historie, geografisch-ökonomisch-touristischer Betrachtung, Liebeserklärung. Geschrieben hat sie der Journalist Olaf Kanter. Sozusagen als Auftragsarbeit für den Blankeneser KJM-Verlag, in dessen formidabler und unbedingt empfohlener Reihe „European Essays on Nature and Landscape“ das Buch erscheint. Europäische Aufsätze über Natur und Landschaft also; Kanters Landschaft ist aber eigentlich keine. Meer ist das, was Land nicht ist. Aber wenn es eines gibt, das das paradoxe Konzept Landname gut kennt, ist es die Nordsee mit ihren Gezeiten.

Die Nordsee im Porträt: Romantisiert wird in diesem Buch nichts

Der passionierte Segler Kanter ist mit der Nordsee vertraut, aber er romantisiert nichts. In seiner Zusammenschau von Vergangenheit und Gegenwart der Nordsee nimmt er ihre Gestaltwerdung in den Blick, aber auch das, was ihr Wesen verändert hat: den Fischfang, Windparks und Bohrinseln. Es geht wie immer um den Zusammenstoß von Natur und Zivilisation, den Kanter detailreich (unvergessen: die Greenpeace-Attacken gegen Shell) schildert.

Kanter hat als Segler nicht nur die Postkartenmotive Leuchtturm und Strand vor Augen, sondern auch das „Industriegebiet Nordsee“, wie er es nennt. Es ist vom Strandkorb aus nicht zu sehen, die Planer wissen, wie man den Schein von Ursprünglichkeit halbwegs aufrechterhält. Windräder stehen erst hinterm Horizont.

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„Randmeer“ erzählt süffig von der Nordseefolklore, vom „Blanken Hans“, wie das Meer auch genannt wird, dieses kleine Meer, das so großes Grauen hervorrufen kann, Havarien, Schiffskatastrophen. Olaf Kanter schreibt, und wir gruseln uns im behaglichen Lesesessel: „Der Blanke Hans ist ein Massenmörder. Ungezählt sind die Opfer, die er in seinen Fluten ertränkte, oder die Schiffe, die er auf ihren Fahrten über die Nordsee versenkte.“

Die Nordsee ist ein Industriepark: Abbildung aus dem Buch „Randmeer: European Essays on Nature and Landscape“.
Die Nordsee ist ein Industriepark: Abbildung aus dem Buch „Randmeer: European Essays on Nature and Landscape“. © KJM Buchverlag | Richard Childs

Von der Nordsee zu erzählen heißt, von ihren Gefährdungen und Gefahren zu erzählen. So könnte man diese fesselnde Betrachtung ganz kurz zusammenfassen. Der Mensch hat die See leer gefischt und mit Öl beschmutzt. Er hat sich von Abwehrsignalen des Meeres, seinen todbringenden Kräften, nie einschüchtern lassen und gedenkt das auch in Zukunft nicht zu tun. Chancen gibt es nämlich auch, denn Orkane und Sturmfluten haben den Wind als Grundlage. Und Offshore-Windanlagen können mit viel Wind umgehen. „Die Nordsee kann das größte Kraftwerk der Welt werden“, hat Kanzler Olaf Scholz vor nicht allzu langer Zeit in Aussicht gestellt.

Neues Sachbuch „Randmeer“: Skepsis, was die Zukunft der Nordsee angeht

Wo dafür der Platz in dieser nicht so großen See sein soll, wäre allerdings die Frage. Buchautor Kanter blickt mit der Skepsis, die der Reihe grundsätzlich eigen ist, auf die Nordsee: „Wo, frage ich mich, bleibt noch Platz für das Leben in der Nordsee selbst? Wie verändert der ‚Nutzungsdruck‘ die Welt der Schweinswale und Robben, der Fische und Vögel? Was ist mit dem Lebensraum Meer? Welche Landschaft haben wir erschaffen, im Meer?“

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„Randmeer“ ist der siebte Band der Reihe „European Essays on Nature and Landscape“. Die wiederum ist eine fabelhafte Unternehmung eines kleinen Hamburger Verlags. Dessen Chef Klaas Jarchow hat die Naturbetrachtungen ins Leben gerufen, er erklärt, warum er sein Projekt so wichtig findet: „Weil wir damit neben der Wissensvermittlung auch die Sinne öffnen. Das Herz ist ja ein empfindsames Organ. Es ist gut zu wissen und wahrzunehmen, wo man lebt. Und es lohnt sich sehr, darüber Bücher zu machen.“

Manchmal ist die Nordsee eher ruhig, wie hier vor Wangerooge. Abbildung aus dem Buch „Randmeer: European Essays on Nature And Landscape“.
Manchmal ist die Nordsee eher ruhig, wie hier vor Wangerooge. Abbildung aus dem Buch „Randmeer: European Essays on Nature And Landscape“. © KJM Buchverlag | T.E. Rye

Diese Bücher heißen „Heide“, „Unter Bäumen“, „Strand“ und „Unterm Himmel“. Sie erzählen von der Lüneburger Heide, dem Wendland, von den Nordseestränden. Vom Licht über Schleswig-Holstein. Es gibt unzählige Naturphänomene, diese Bücher, die mit Hingabe, Kenntnis und Leidenschaft geschrieben sind, nehmen kleine und größere Ausschnitte in den Blick, Landschaften, die wir gut zu kennen glauben, tatsächlich gut kennen oder eben nicht.

Herausgeber Jarchow will mit seinem groß angelegten Natur-Buch-Aufschlag auch über Deutschland hinausblicken. Mit einem schwedischen Verlag arbeitet er bereits zusammen, 2024 erscheint zweisprachig „Moor“. Weitere europäische Kooperationen sind angedacht. Jarchow verspricht viele Überraschungen – mit Themen wie „Wiese“, „Lagune“, „Gewächshaus“ oder „Stadtrand“. Ist das nah an der Lebensrealität der Leserinnen und Leser oder exotisch? Kommt immer auf die jeweilige Perspektive an.

Naturbücher im Blankeneser Verlag KJM: Es geht um das sinnliche Erlebnis

Die Anforderungen an die Autorinnen und Autoren sind schlicht. Das persönliche Erfahren des Landstrichs, um den es geht, ist die Grundlage der Erörterungen. Die sind von Fakten geprägt, mehr aber noch vom sinnlichen Erlebnis. Alle Bände sind hübsch aufgemacht, man blättert und liest gerne in ihnen. Klaas Jarchow, Buchmacher seit Jahrzehnten, geht noch weiter: „‚Hübsch‘ finde ich etwas ungenau – die Bücher sind Preziosen, wunderbar gestaltet. Schrift, Papier, Zeichnungen, Abbildungen, alles verfolgt das Ziel, den Landschaften in den Büchern wirklich zu begegnen.“ Sie richten sich, sagt Jarchow, „an Buchliebhaber, Neugierige, Wissenssucher, die sich zum veränderten Wahrnehmen von Landschaften anregen lassen wollen – wahrzunehmen, wo wir leben; neben allen genauen Tipps, Links und Karten in den Bänden geht es genau darum“.

Die Natur als kostbares Gut, das den Angriffen der Zivilisation ausgesetzt ist: Diese Deutung durchzieht die Reihe. Auch sonst wird sie nicht ver-, sondern erklärt. Wissen wir genug über unsere Landschaften, Herr Jarchow? „Absolut: nein. Sie sind nicht aktueller Gegenstand unserer Wahrnehmung. Und darum geht es mit den Büchern: Kenntnis und Wahrnehmung von Landschaften – wo wir leben.“

„Randmeer“ Nordsee: Respekt vor den Wellen, Lust auf Föhr

Im Falle des jetzt erscheinenden „Randmeer“ hat man nach der Lektüre im Übrigen noch mehr Respekt vor Nordseewellen, vor allem aber Lust auf Föhr und Friedrichskoog. Es ist tatsächlich so, wie Jarchow („Es geht um die Sensibilisierung für die Nordsee und ihre Geschichte, mit den guten und den verheerenden Seiten dieses Randmeeres vor unserer Haustür“) sagt: Diese Bücher sind Anregungen, vor diese Haustür zu gehen.

Das Buchcover von „Randmeer: European Essays on Nature and Landscape“ (KJM-Verlag, 144 S., 20 Euro).
Das Buchcover von „Randmeer: European Essays on Nature and Landscape“ (KJM-Verlag, 144 S., 20 Euro). © KJM Verlag | KJM Verlag

Als nächste Titel geplant sind „Hochschwarzwald“, ein Text, der sich auf die Spuren von Martin Heidegger und Paul Celan begibt. Außerdem „An der Quelle“, das von den Ursprungsorten der Flüsse handeln wird, und „Neuwald“, ein Nachdenken über den Wald in den Zeiten des entfesselten Klimawandels. Ein Buch über die Ostsee ist auch in Vorbereitung. Die Reihe bleibt also auch in Norddeutschland.