Hamburg. „Tote in Kauf genommen“: Besetzer der Brent Spar über Gefahr und Erfolge von Greenpeace – und was Fridays for Future besser macht.

Der Mann, der den Öl-Giganten Shell in die Knie gezwungen hat, kann einfach keinen Kaffee mehr trinken. Christian Bussau sitzt in einem netten, kleinen Café in Altona und bestellt sich ein Wasser. Laut. Also mit Kohlensäure, sagt der Mann von Greenpeace leise – und erklärt im Gespräch mit dem Abendblatt, dass er ein bisschen aufpassen müsse, wie viel Kaffee er so trinke.

Selbstverständlich ist der Campaigner mit dem Fahrrad gekommen. Bussau, 61 Jahre alt, ein paar Haare weniger auf dem Kopf als früher, ein paar Pfunde mehr auf den Rippen, ist eines der Gesichter von Greenpeace.

Im kommenden Jahr feiert der Hamburger sein 30. Jubiläum bei der Umweltschutzorganisation, deren größten Erfolg er maßgeblich mit zu verantworten hatte. „Mit der Brent-Spar-Aktion ging Greenpeace für mich persönlich erst so richtig los“, sagt Bussau.

Erfolg für Greenpeace: Shell musste nach wochenlangen Protesten klein beigeben

Brent Spar. So hieß der schwimmende Öltank in der Nordsee, den Bussau und seine Greenpeace-Kollegen 1995 wochenlang besetzt hielten, um gegen die Öl-Konzerne Shell und Esso und deren Vorhaben zu demonstrieren, die Plattform im Meer zu versenken. Es ist eine Art Mutter aller Protestaktionen, die auch im Zeitalter von Fridays for Future und der Letzten Generation noch immer für sich steht.

„Natürlich werde ich immer wieder darauf angesprochen“, sagt Bussau. „Aber ich rede auch nach so vielen Jahren noch gerne darüber.“ Er gehört auch zu den Protagonisten der aufwendig produzierten Sky-Doku „Inside Greenpeace“.

Die fünfteilige Serie startet am kommenden Wochenende und gewährt den Zuschauern ungewöhnliche Einblicke in die gut 50-jährige Geschichte der Umweltschutz- und Friedensorganisation.

Hamburger hat sein halbes Leben für Greenpeace gekämpft

Er habe sein halbes Leben für Greenpeace gekämpft, sagt der überzeugte Umweltschützer. „Und wenn ich die Doku jetzt sehe, dann habe ich das Gefühl: Es hat sich gelohnt.“

Im Café in Altona wirft Bussau direkt wieder sein Kopfkino an. Der zweifache Familienvater erinnert sich, wie ihm vor 28 Jahren auch der Zufall ein wenig in die Hände spielte.

„Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt Bussau, der eben das Glück hatte, dass Greenpeace für die geplante Aktion noch einen Aktivisten suchte, der sich ein wenig mit der Materie auskennt – und vor allem nicht seekrank wird. Der promovierte Meeresbiologe, dessen Vater kurioserweise als Kapitän eines Tankers arbeitete, meldete sich freiwillig – und wurde direkt genommen.

Zunächst nahmen Medien von Brent Spar kaum Notiz

Von den Shetland-Inseln aus wurden Bussau und seine Mitstreiter auf die Brent Spar gebracht – und mussten sich zunächst einmal langweilen. „Shell hatte sich am Anfang der Aktion eher ruhig verhalten, was auch ein bisschen unser Problem war“, berichtet Bussau. „Zunächst haben sich die Medien überhaupt nicht für diese Aktion interessiert. Das änderte sich aber stark.“

Die Stimmung kippte, als Shell nach Tagen des Stillstands versuchte, die Brent Spar räumen zu lassen. „In den frühen Morgenstunden kamen die Shell-Mitarbeiter und waren extrem aggressiv. Das Vorgehen von Shell erstaunt mich bist heute“, sagt Bussau.

„Man muss sich das mal vorstellen: Sie haben versucht, einen Hubschrauber abzuschießen. Sie hätten den Tod von Aktivisten in Kauf genommen. Darüber komme ich auch 30 Jahre später nicht hinweg …“

In Deutschland wurden zahlreiche Shell-Tankstellen boykottiert

Die Bilder gingen um die Welt, sorgten für einen Boykott von Shell-Tankstellen und machten Greenpeace erst so richtig groß. Nach wochenlangem Hin und Her musste der Öl-Konzern schließlich klein beigeben.

„Wir waren alle auf Wolke sieben. Wir dachten dann wirklich, die Welt gehört uns, wir können jetzt alles erreichen“, erzählt Bussau in Altona. „Wir hatten die Überzeugung, dass jetzt jeder Großkonzern vor uns einknickt. Leider irrten wir uns.“

Bussau trinkt sein lautes Wasser aus – und spricht nun noch leiser als zuvor. „Wir haben viele gute Dinge bewirkt, aber wenn wir ehrlich sind, dann hatten wir nie wieder einen so großen Erfolg wie die Brent Spar.“

Mehr als 50 Jahre lang wird bei Greenpeace nun schon für den Umwelt-, Klima- und Naturschutz gekämpft. „Greenpeace war und ist unglaublich wichtig. Man kann stolz auf die Errungenschaften sein“, sagt Bussau. „Und gleichzeitig muss man eingestehen, dass wir einige unserer Ziele, die wir uns irgendwann mal gesteckt haben, nicht erreicht haben.“

Greenpeace-Mann lobt Fridays for Future

Natürlich wird Greenpeace weiter kämpfen – ist nun aber nicht mehr alleine. Mit Fridays for Future, Extinction Rebellion und vor allem der Letzten Generation gibt es mittlerweile Organisationen, die einerseits für die gleichen Ziele eintreten – und die andererseits Greenpeace ein wenig die Aufmerksamkeit nehmen.

„Fridays for Future hat es geschafft, den Kampf gegen den Klimawandel auf eine ganz andere Ebene zu hieven“, sagt Bussau anerkennend. „Sie haben ja nicht nur Schulkinder mobilisiert, sondern auch deren Eltern. Dadurch hat der Kampf gegen den Klimawandel eine breite Akzeptanz erfahren, die wir mit Greenpeace in dieser Dimension nicht hinbekommen haben.“

Brent-Spar-Besetzer: „Greenpeace ist eine Lebensaufgabe“

Etwas kritischer sieht er dagegen die Aktionen der Letzten Generation. „Jede Organisation muss sich immer selbstkritisch hinterfragen: Machen die Menschen mit? Verstehen die Menschen unseren Protest? Und teilen die Menschen unsere Aktionen? Ich denke, dass Greenpeace es geschafft hat, die Menschen sehr oft sehr stark zu begeistern.“

Er selbst bleibt auch nach drei Jahrzehnten begeistert. Ob er schon mal darüber nachgedacht habe, demnächst in den Ruhestand zu gehen? Bussau schüttelt energisch mit dem Kopf. „Man geht im Kampf für eine bessere Umwelt nicht in Rente“, sagt er am Ende des rund einstündigen Gesprächs. „Greenpeace ist eine Lebensaufgabe.“

TV-Tipp: Die fünfteilige Doku-Serie „Inside Greenpeace“ gibt es ab dem 17. September auf Sky und dem Streamingdienst WOW.