Hamburg. Das Park-Café Schöne Aussichten ist eine Institution. Und war früher sogar mal richtig aufregend. Davon erzählt ein neues Buch.
Die offensichtlichsten Storys über das Café Schöne Aussichten sind die mit Alanis Morissette, Lenny Kravitz und Suzanne Vega. Oder die mit den Eurythmics. Sie alle traten mal in diesen Schönen Aussichten auf, gelegen in Planten un Blomen, dem grünen Verzückungsstreifen inmitten Hamburgs. Früher, bevor dieser erste Botanische Garten Hamburgs angelegt wurde, waren hier die Befestigungsanlagen. Wälle schützten einst die Stadt. Ein Park ist in seiner Offenheit eine Einladung, also deren Gegenteil. Das Café Schöne Aussichten wiederum ist, was speziell Planten un Blomen angeht, die Verdoppelung jener Einladung.
So ist es immer noch: Wer im Park einen Kaffee, eine Apfelschorle oder einen Cocktail trinken möchte, der steuert das Lokal mit Außenbereich an. „Wir haben den Park für die Stadt geöffnet“, schreibt Uriz von Oertzen im Vorwort seines Buchs „Schöne Aussichten. Von Tagedieben und Nachtgestalten“. Anfang der 1980er-Jahre übernahm er mit zwei Bekannten (Ulli Dunker und Ulle Wilken) eine bestehende, aber mies laufende Gastronomie im Park (sie hieß bezeichnenderweise Café Bastion) und machte den Ort innerhalb kürzester Zeit zu einem Anziehungspunkt für Szene, Hedonismus, Urbanität im Grünen, Popkultur und Musik. Siehe oben: In den Schönen Aussichten traten große Stars auf, bevor sie große Stars waren. Und auch, wenn sie auf dem Zenit waren.
Café Schöne Aussichten: Das war mal ein Szenetreff in Hamburg und ist immer noch ein Kultladen
Uriz von Oertzen war am ursprünglichen, dem für viele legendär zu nennenden ersten Leben der Schönen Aussichten maßgeblich beteiligt. Für viele Hamburgerinnen und Hamburger ist der Laden heute mit Parkanbindung vor allem mit Besuchen des After Work Clubs verbunden. Seine große Zeit hatte er aber vor Jahrzehnten, was einmal mehr verdeutlicht, dass ein Jegliches seine Zeit hat – und dass Nostalgie ein ergiebiger Antrieb sein kann. Zum Beispiel für eine Buchveröffentlichung wie diese.
- Café Seeterrassen: „Der Neubau soll ein Hingucker werden“
- Planten un Blomen: Ein Streifzug durch Hamburgs grünes Herz
- Literaturtage: Island, das Land, in das wir schwankend wollen
Für das Erinnerungsbuch hat Oertzen gemeinsam mit Alf Burchardt in den Erinnerungskisten gekramt. Seine persönliche bestand, wie der im Junius-Verlag erscheinende Band belegt, vor allem aus Zeitungsschnipseln. Außerdem wurden Fotos zusammengetragen, viele aus dem eigenen Archiv, das aufgrund der Ungnade der frühen Geburt noch analog beschaffen ist. Das Buch ist ein wild wucherndes Erinnerungsdickicht. Aber man kann klar erkennen: Die Schönen Aussichten waren so etwas wie ein cooler Ort (auch wenn viele der im Band verewigten Gäste beileibe nicht „cool“ waren), bei dessen Gedeihen und Blühen auch mancher Nachgeborene gerne dabei gewesen wäre und angesichts dessen wiederum andere Nachgeborene den Dabeigewesenen ihre Generationseitelkeit gönnen.
Die Leute hingen an den Aussichten, und sie äußerten sich für diesen Band gern. Olli Dittrich, Otto Waalkes – er versackte nach eigenem Bekunden oft in seinem Lieblingscafé, „darunter hat meine erste Ehe ganz schön gelitten“ – und Dirk Darmstaedter sind in Bild und Text vertreten. Darmstaedter berichtet, wie abgeklärt alle immer in den Schönen Aussichten tun mussten. Es war ein Ort des Sehens und Gesehenwerdens. In London, sagt der Jeremy-Days-Chef, habe er nach dem vorübergehenden Wegzug aus Hamburg lediglich sein Stammcafé vermisst. Wigald Boning wiederum gibt beim Rückblicken zu, er habe auf der Bühne in den Schönen Aussichten „wie in Trance“ agiert; er könne sich nicht erinnern, „ob das Publikum meinen kruden Gedankengängen wenigstens einigermaßen folgen konnte“.
Café Schöne Aussichten in Planten un Blomen: Auch Fleetwood Mac war da
Ein Hotspot, in dem sich die Kreativen, Coolen und Attraktiven treffen (tatsächlich wäre das eine Selbstbeschreibung, die jeder an der Unternehmung „Schöne Aussichten“ Beteiligte nur zu gerne als treffend erachtete), ist das Park-Lokal schon lange nicht mehr. Wenn man dieses prächtige Bilderbuch durchblättert, erscheinen die Schönen Aussichten von früher tatsächlich als oft aufregender Ort mit Konzerten, Partys und geschlossenen Veranstaltungen, der oft von VIPs aufgesucht wurde, vom Establishment (Fleetwood Mac, Rick Astley) und vom Underground. Hier passten alle rein, Popper und (Beinah-)Punks.
Indie-Mucker Bernd Begemann, der mit seiner Band „Die Antwort“ in den Aussichten („Man musste es aufsuchen, da mitten in der Botanik“) auftrat, kommt auch zu Wort. Und diesem Rhetoriker Begemann ist es in der vielstimmigen Betrachtung vorbehalten, die lässig-klügsten Sätze über das eigentümliche Lokal („Es kam mir vor wie der Wintergarten der Szene“) zu sagen. Die Schönen Aussichten seien ein Ort „für das Hamburg-Gefühl, für eine helle, saubere Aufgeschlossenheit, auch gegenüber experimentellen Dingen“ gewesen, so Begemann.
Schöne Aussichten in Hamburg: Die Kellner waren arrogant und lahm
Als allumfassende Würdigung, die der als Autor/Herausgeber in Erscheinung tretende Uriz von Oertzen seinem Ex-Laden angedeihen lassen will, muss der Band auch diejenigen in den Blick nehmen, die den alltäglichen Kern bildeten: die Belegschaft mit Kellnerinnen und Kellnern. Einer von ihnen sagt, was über Jahre zur Planten-un-Blomen-Folklore gehört haben muss: „Wir hatten viel Spaß – und einen schlechten Ruf: arrogante Kellner und dann auch noch langsam. Trotzdem sind alle immer wiedergekommen.“
Das Früher ist wohl im besten Fall eine Zeit, die man im Nachhinein zur Epoche verklären kann. Das tun die Dabeigewesenen in diesem Band nach Kräften. Eine Gästeliste mit 727 oft klingenden Namen als Anhang darf nicht fehlen bei einem Ort, der Glamour suchte und fand. Dieser Glanz ist matter geworden in der gar nicht mehr so neuen Version des Cafés Schöne Aussichten, zu der die einstigen Gründer schon lange nicht mehr gehören. Schön gelegen sind sie immer noch, die Aussichten. Man könnte mal wieder hin, auf einen Kaffee.