Hamburg. „Nimmerland“ am Jungen Schauspielhaus beginnt mit einer Finte. Warum die eigentliche Geschichte aber gar nicht so wichtig ist.

Eigentlich schade. Da hat sich das Publikum aufgemacht ins Junge Schauspielhaus, um die Premiere der „Peter Pan“-Bearbeitung „Nimmerland“ zu erleben, und dann findet die Vorstellung nicht statt. Dispositionsfehler, erklärt Schauspieler Hermann Book, die Premiere sei erst morgen.

Noch ist die Bühne (Katrin Plötzky) ein Provisorium, die Feuerwehr hat die Technik noch nicht abgenommen, und die Darstellerin der Wendy (Jara Bihler) ist zwar im Haus, probt allerdings ein ganz anderes Stück. Aber wo das Publikum schon mal da ist, kann man vielleicht eine Kostprobe für „Nimmerland“ geben? Also wird Bihler in einem lächerlich unpassenden Outfit (Kostüme: Hanna Roxane Scherwinski) geholt, damit sie einen ersten Einblick ins neue Stück gibt.

Theater Hamburg: Ganz eigene Variante des Stoffes um Peter Pan

Schon klar: Der angebliche Fehler in der Disposition gehört zur Inszenierung, „Nimmerland“ bewegt sich längst in der Welt von Peter Pan, als man noch denkt, einer Terminverwechslung aufgesessen zu sein.

Regisseurin Brigitte Dethier und Dramaturg Till Wiebel, die den Abend gemeinsam mit dem Ensemble entwickelt haben, nehmen die Doppeldeutigkeit des Begriffs „Vorstellung“ beim Wort, um eine ganz eigene Variante des Stoffes zu entwerfen. Die Vorstellung also findet sehr wohl statt, allerdings in der Vorstellung der Darsteller. Und in der Vorstellung des Publikums ab acht Jahren.

Peter Pan einmal ganz anders: Die Kinder sind begeistert

Der Putzmann (Severin Mauchle) ist der Erste, der von der peinlichen Theaterpanne ins Spiel wechselt. „Ich wäre als Kind gerne Peter Pan gewesen“, bekennt er, und dann entwirft er das Stück mit einfachen Theatermitteln: Das Haus von Wendys Familie ist ein Müllcontainer, der noch vom Bühnenaufbau übrig ist, die Fee Tinkerbell (zunächst) ein flatternder Gummihandschuh. Der mehrfach geäußerte Satz „Stell dir vor, du kannst fliegen!“ wird dann eben als genau das realisiert, was er beinhaltet: Man sieht keine Fliegenden, man sieht Figuren, die sich vorstellen, zu fliegen. Dass Mauchle am Ende tatsächlich fliegen darf, ist ein kleines Abschiedsgeschenk, und schon alleine für die Freude, die sich im Gesicht des Schauspielers an dieser Stelle abzeichnet, lohnt der Theaterbesuch.

Was dabei ein wenig in den Hintergrund tritt, ist die Story. „Da ist Peter Pan, der wird befreit, von irgendwem, ist auch egal, und alle haben ’ne gute Zeit“ – so lapidar wird die im Original von J.M. Barrie stringent erzählte Abenteuergeschichte abgetan, und dass die jungen Zuschauer da nicht enttäuscht sind, ist ein Hinweis darauf, wie gut der Zugriff von Dethier und Weibel funktioniert.

Als Jugendliche die halbe Nacht Flaschendrehen gespielt, „mit Küssen!“

Stattdessen traut sich der Abend in der zweiten Hälfte, „Peter Pan“ ganz hinter sich zu lassen, improvisierend zu zerfasern und tief in die Kindheit der Schauspieler einzutauchen. „Jara, was ist dein größtes Geheimnis?“, wird da gefragt, „Severin, was hast du früher heimlich gemacht?“ oder „Alicja, was war deine aufregendste Übernachtung?“ An eine Übernachtung in der Schule erinnert sich Schauspielerin Alicja Rosinski da, und da hätten die Jugendlichen die halbe Nacht Flaschendrehen gespielt, „mit Küssen!“. Literatur mag spannende Abenteuer beinhalten, die eigene Kindheit aber auch.

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„Nimmerland“ ist schon die zweite „Peter Pan“-Dekonstruktion, die in dieser Vorweihnachtszeit auf Hamburger Bühnen zu sehen ist – erst vor einer Woche zeigte das Fundus Theater „Petra Pan, Oma Hook und Wendy“, eine Aufführung, die ebenfalls vom Stück wenig übrig ließ und die das junge Publikum ähnlich begeisterte wie „Nimmerland“.

Woraus man den Schluss ziehen kann: Kindern darf man ästhetisch durchaus was zumuten, sofern das Gezeigte was mit ihrem Leben zu tun hat. Womöglich hat so ein Spiel mit der Vorstellung mehr mit ihrem Leben zu tun als eine Geschichte mit Piraten und Feen.

„Nimmerland“ wieder am 4., 5., 6., 7. Dezember, 10.30 Uhr, 9. Dezember, 16 Uhr, Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28, Tickets unter 24 87 13, www.schauspielhaus.de