Hamburg. John Hopkins’ „Diese Geschichte von Ihnen“ gerät im Ernst Deutsch Theater zum konzentriert-überzeugenden Machtspiel um die Wahrheit.
Bis die Erzählung, um die es hier geht, womöglich zu Gehör kommt, vergeht einige Zeit, zwei Akte genauer gesagt. Doch der raffinierte Aufbau von „Diese Geschichte von Ihnen“ („This Story Of Yours“) ist nur eine Stärke des psychologischen Krimis von John Hopkins, den Regisseur Harald Weiler jetzt in prominenter Besetzung im Ernst Deutsch Theater herausgebracht hat.
Das Krimi-Genre verspricht einen sicheren Spannungsbogen, Einblicke in menschliche Abgründe und ein zu lösendes Rätsel. Vieles davon löst sich auch an diesem Abend ein.
Ernst Deutsch Theater: „Diese Geschichte von Ihnen“ ist eher ein Psychogramm
Autor John Hopkins hat lange Fernseh- und Kino-Drehbücher verfasst (u.a. für „James Bond 007 – Feuerball“), bevor er sich 1968 an sein erstes Bühnenstück wagte. 1974 wurde es von Sidney Lumet unter dem Titel „Sein Leben in meiner Gewalt“ mit Sean Connery in der Hauptrolle verfilmt. Es erklingen bekannte Krimi-Sätze wie „Wo warst du heute Nachmittag?“ oder „Diese Geschichte von Ihnen … die geht nicht auf, verstehen Sie.“ In dem Stoff steckt jedoch mehr als eine geradlinige Kriminalgeschichte, es ist eher ein Psychogramm.
Ulrich Bähnk ist Sergeant Johnson, ein Polizist, der nach 30 Jahren Leichenanblick und Jagd auf das Böse von all den unverarbeiteten Bildern und Erlebnissen wie von Dämonen verfolgt wird und diese im Alkohol zu ertränken versucht. Eindringlich gibt Bähnk den Ermittler, fahrig, zitternd, schwitzend, tobend, ständig in unpassende Emotionen ausbrechend. In jedem der drei Akte durchlebt Johnson eine Begegnung, für die sich die von Peter Schmidt raffiniert gestaltete Drehbühne stets ein Stück weiterbewegt – und in jedem Aufeinandertreffen implodiert er auf schmerzvolle Weise.
Zuerst im heimischen Wohnzimmer vor einer massiven hölzernen Schrankwand. Die vielen Puppen darin blicken Johnson wie Horrorfiguren aus seinem Alltag an. So eben ist ihm ein Verhör entglitten – ein Verdächtiger, der sich an jungen Mädchen vergriffen haben soll, ist im Krankenhaus gelandet. Jetzt verdichten sich die Schreie vieler Opfer erneut in seinem Kopf zu einer Tonspur der Qual. Und es gelingt Johnson noch nicht einmal, eine Schallplatte auf dem Teller zu platzieren.
Darsteller spielen beklemmende Szene mit Präzision bis an die Schmerzgrenze
Die Anwesenheit seiner desillusioniert im Bademantel heranschlurfenden Frau Maureen (erschütternd schwankend zwischen Selbstaufgabe und Stärke: Katharina Abt) reizt ihn nur noch mehr. Sie will ihn zum Reden bringen, ihm Erleichterung und vielleicht Erlösung verschaffen, aber er hat nur Gemeinheiten für sie übrig: „Du siehst beschissen aus. Ist dir das klar? Wirklich beschissen.“ Auch den Drink muss sie sich selbst mixen.
Die gegenseitige Zerfleischung steht jener in Edward Albees Klassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ in nichts nach. Der Alkohol wässert das toxische Beziehungsgeschehen bis zur Handgreiflichkeit. Eine beklemmende Szene, von den beiden herausragenden Darstellern mit Präzision bis an die Schmerzgrenze gespielt.
Im zweiten Akt steht Johnson dann seinem Vorgesetzten gegenüber. Der Verdächtige mit dem Namen Baxter ist im Krankenhaus gestorben. Stephan Schad gibt als Cartwright lässig Zigarillo rauchend den abgebrühten Machtmenschen, der scheinbar das Beste für Johnson und die Sache unter den Teppich kehren will. In einer Szene, deren Dramatik sich mit jedem Dialog eine weitere Umdrehung steigert, triggert er mit seinem zermalmenden Sadismus den Frust Johnsons so sehr, dass dieser schließlich versucht, die Rollen umzudrehen. Am Ende bleibt er, zusammengesunken auf seinem Stuhl, der Verhörte.
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„Diese Geschichte von Ihnen“ ist nur vom Ende her zu erfassen
Letztlich ist dieses raffiniert gebaute Stück nur vom Ende her zu erfassen. Und das führt nach der Pause mithilfe einer Rückblende in den nackten Verhör-Keller mit abbröckelndem Putz und ein paar Heizungsrohren, einem Tisch und zwei Stühlen. Hier steht Johnson nun dem Verdächtigen Baxter gegenüber. Und sein erster Auftritt offenbart die selbstgewisse Sicherheit im Umgang mit dem Tatverdächtigen, bei dem er glaubt, den Schuldigen gefunden zu haben. Der von Boris Aljinovic mysteriös und schneidend intellektuell angelegte Baxter erkennt bald die Schwachstellen des Sergeants und beginnt sie ihm zu spiegeln.
Ein irritierendes Machtspiel beginnt, ein zähes Ringen um die Wahrheit – die womöglich ganz woanders liegen könnte. Am Ende sieht sich der Ermittler gezwungen, sich frühen Gewalterfahrungen zu stellen. In dieser delikaten Szene wird es erneut rasch körperlich – der fatale Ausgang ist ja bekannt. Und wenn Ulrich Bähnk den Schauspielkollegen Boris Aljinovic regelrecht mit der Hand an die Wand nagelt, hat der Kampf-Choreograf Rainer Wolke ganze Arbeit geleistet. Johnson wird es sein, dessen Verzweiflung über die schleppende Wahrheitssuche schließlich darin mündet, dass er sein Gegenüber sogar um Hilfe anfleht.
Inszenierung verhandelt klug eine Vielzahl aktueller Themen
Mit klarer, aufs Wesentliche fokussierter Regie führt Harald Weiler durch das Psychodrama, das in der Wucht des Geschehens häufig eher einer antiken Tragödie als einem Well-Made-Play ähnelt. Es ist konsequent gestrafft, anders als jene Drei-Stunden-Version, mit der Andrea Breth 2016 am Wiener Burgtheater den Stoff dem Vergessen entrissen hat – die Inszenierung gastierte seinerzeit auch beim Hamburger Theater Festival.
Am Ernst Deutsch Theater nun sorgt die Konzentration für eine überzeugende Zuspitzung. Die Inszenierung verhandelt klug eine Vielzahl aktueller Themen: Polizeigewalt, Ehehölle, frühkindliche Traumatisierung. Und man schaut den herausragend aufspielenden Schauspielerinnen und Schauspielern in den drei Akten in jeder Sekunde gebannt zu. Am Ende steht die Tragödie eines Mannes, dem der Beruf zur Obsession geworden und dabei das eigene Leben abhandengekommen ist.
„Diese Geschichte von Ihnen“ weitere Vorstellungen bis 15.4., Ernst Deutsch Theater (U Mundsburg), Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten zu 22,- bis 44,- unter T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de