Hamburg. Axel Schneider inszeniert das Stück von Thomas Bernhards böse und vergnüglich, aber am Ende etwas aus der Zeit gefallen.

Man kann diesem Bruscon vieles vorwerfen, aber nicht, dass er ein Heuchler sei. Der Schauspieler hat selbst ein Theaterstück geschrieben, „Das Rad der Geschichte“ heißt seine „Menschheitskomödie“, und mit der geht er jetzt auf Tournee. Unter anderem gastiert er im Dorfgasthof „Schwarzer Hirsch“ von Utzbach, und aus seiner Abneigung gegen das 280-Einwohner-Dorf, das unter drückender Schwüle und ebenso drückendem Schweinemastgestank liegt, macht er keinen Hehl. Perlen vor die Säue sei sein Meisterwerk hier, im Wortsinn.

„Der Theatermacher“ ist eine typische Wutrede des österreichischen Jahrhundertschriftstellers Thomas Bernhard, geschrieben 1984 für den Regisseur Claus Peymann, dem Bernhard in Hassliebe verbunden war, voller Anspielungen auf Salzburg, das hier massiv verkleinert als „Utzbach“ auftaucht, uraufgeführt ein Jahr später bei den dortigen Festspielen unter, natürlich, Peymanns Regie.

Bruscon, Schauspieler, „Staatsschauspieler“ sogar (was im titelverliebten Österreich etwas heißt), ist ein selbstgerechter, alter Mann, der schimpft, wütet, seine Mitmenschen terrorisiert und sich nur in einer winzigen Szene einen Hauch von Selbstkritik erlaubt: Womöglich ist seine „Menschheitskomödie“ ja gar nicht so gut, wie er immer glaubte, fragt er sich da. Um diese lästerlichen Gedanken gleich wieder wegzuschieben – es muss pedantisch darauf insistiert werden, dass zum Höhepunkt des Stücks vollkommene Dunkelheit im Saal herrscht, also auch das Notlicht ausgeschaltet wird, entgegen gesetzlichen Vorgaben. Und es muss Frittatensuppe gegessen werden. Notlicht und Frittatensuppe, das ist alles, was Bruscon interessiert. Ein großer Spaß.

Hamburger Kammerspiele: „Theatermacher“ – Schneiders selbstironischer Blick auf eigene Profession

Axel Schneider, Intendant und Geschäftsführer des Privattheater-Konglomerats Stäitsch Theaterbetriebs GmbH, zu dem auch die Hamburger Kammerspiele gehören sowie die Burgfestspiele im baden-württembergischen Jagsthausen, hat „Der Theatermacher“ an den Kammerspielen inszeniert. Eine souveräne Stückwahl: Schneider weiß ja, dass seine Situation derjenigen Bruscons ähnelt, als Künstler, der gleichzeitig wirtschaftliche Verantwortung trägt. Und entsprechend in der Provinz gastieren muss, selbst wenn das die eigenen künstlerischen Ansprüche verrät. Bernhards Wutrede: ein selbstironischer Blick auf die eigene Profession, die Schneider mit selbstbewusster Klugheit übernimmt.

Neben Peter Bause spielt Jessica Kosmalla gleich mehrere Rollen.
Neben Peter Bause spielt Jessica Kosmalla gleich mehrere Rollen. © Bo Lahola | Bo Lahola

Wobei Schneider natürlich weiß, dass Hamburg im Jahr 2023 eine andere Welt ist als Salzburg 1984. Peter Bause spielt Bruscon einfühlend, expressiv, auch mit Spaß an der Überzeichnung, er spielt ihn aber als Fossil, das nicht nur ahnt, dass die Zeit bald über sein Kunstverständnis hinwegziehen wird, sondern das tatsächlich mehr musealen Wert hat als echten Gegenwartsbezug. Wie er darüber schimpft, dass die Theaterästhetik vor die Hunde gehe („Selbst in den größten Theatern Deutschlands wird gesprochen, dass es einer Sau graust!“), das ist unterhaltsam, aber es ist auch irgendwie von gestern. Der Künstlertyrann, den Bause hier kunstvoll karikiert, ist eine aussterbende Gattung.

Hamburger Kammerspiele: Intendant Axel Schneider – Theater nur mit Respekt für alle

Bruscons prononciertes Sprechen, in das hier tiefe Verachtung gelegt wird (wie hasserfüllt „Schwarrrrrrzer Hirrrrrrrrsch“ klingen kann!), ist mittlerweile fast flächendeckend ersetzt durch beiläufiges Gemurmel durch Mikroports. Bruscons Kunstdiktatorenattitüde, die dem gesamten Ensemble (das in Utzbach ausschließlich aus Familienmitgliedern des Theatermachers besteht, alle gespielt von Jessica Kosmalla) das Leben schwer macht – heute ein Fall fürs Ensemble-Netzwerk und die Vertrauensstelle Themis. Gibt es überhaupt noch Theaterleiter, die so ohne Rücksicht auf Verluste durch Menschenschicksale holzen wie Bruscon? Martin Kušej werden es vielleicht einige vorwerfen, aber dessen Intendanz am Wiener Burgtheater neigt sich seinem Ende zu. Und auch Schneider betont im Programmheft, dass er zwar das Theater liebe, es aber mit Respekt für alle daran Beteiligten betreibe.

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Respekt jedoch ist etwas, das Bruscon vollkommen fehlt. Am allerwenigsten Respekt zeigt er gegenüber den Utzbachern, verkörpert durch den Wirt vom Schwarzen Hirsch. Wobei der bei Alexander Klages genau das macht, was man mit solch egomanischen Wichtigtuern machen muss: Er hört sich die Suada an, er lächelt, er nickt, und er erledigt seinen Job. Die Blutwurstproduktion ist erst mal wichtiger als die Kunst, auch wenn das am Ende einen Auftritt in blutverschmierter Schürze (Kostüme: Birgit Voß) zur Folge hat. Nervensägen muss man auflaufen lassen, dann klappt das schon.

Großer, verdienter Applaus, nach gut zwei Stunden hochvergnüglicher, böser, vielleicht ein wenig aus der Zeit gefallener Künstlersatire. Nur das Notlicht, das brennt in den Kammerspielen immer noch. Bruscon hat es geschafft, dass einem das unangenehm auffällt.

„Der Theatermacher“ bis 26. Dezember, Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9–11, Karten unter T. 4133440, www.hamburger-kammerspiele.de.