Hamburg. Geschmeidige Anekdoten und geballte Gesellschaftskritik: Dem Rapper und Journalisten hörte man am Sonnabend gerne zu.
Es gibt Musiker, von denen man von Anfang an Fan ist, deren Lieder die obersten Plätze des Spotify-Jahresrückblicks besetzen, die einen tagtäglich in der U-Bahn oder beim Joggen begleiten. Enttäuschend, wenn diese Musiker live dann nicht so richtig abliefern – das kann das Fan-Dasein gefährlich abdämpfen.
Und dann wiederum gibt es Sänger wie Juse Ju, dessen Songs erst mal vielleicht nur so lala gefallen – der dann live aber eine solche Show hinlegt, dass man gar nicht anders kann, als begeisterter Fan zu werden.
Uebel & Gefährlich: Juse Ju gibt ein richtig gutes und ehrliches Konzert in Hamburg
Das ist ein bisschen so, als wenn die Person von Tinder in echt viel besser aussieht als auf den Profilbildern. Doch die Menschen im Uebel & Gefährlich waren am Sonnabend nicht zum Daten, sondern zum Moshen, Abgehen und Arme-Wippen da: Rapper Juse Ju spielte sein letztes Konzert seiner diesjährigen Tour in Hamburg.
Um 19 Uhr startet Marie Bothmer, der Support-Act auf Juse Jus Tour. Das Publikum wirkt – sanft gesagt – gemütlich. Und – ehrlich gesagt – müde, wenn nicht gar ein wenig lustlos. Die 27-jährige Popsängerin lässt sich davon nicht beirren, sie zieht durch, fordert die Zuhörerschaft immer wieder zum Mitsingen auf, witzelt über die nur mittelmäßige Bereitschaft.
Juse Ju in Hamburg: Support-Act Marie Bothmer lässt sich nicht beirren
„Hamburg, ich hab mehr von euch erwartet“, lacht die Bayerin, ohne vorwurfsvoll zu klingen. Bothmer singt mit weicher Stimme darüber, wie es ist, widerwillig ein „People Pleaser“ zu sein – also jemand, der es allen recht machen will. Die poppigen Beats und der tiefe Bass aus der Musikanlage reanimieren das Herz, die unaufdringlich sympathische Art von Bothmer bringen einen zum Schmunzeln. Im nächsten Jahr wird sie als Haupt-Act auf Tour gehen, auch in Hamburg macht sie einen Zwischenstopp.
„Ich hab‘s hier glaub ich noch nie so leer gesehen“, flüstert jemand im Publikum. Und tatsächlich: Der Raum im Übel & Gefährlich ist um halb 8 noch nicht sonderlich gefüllt, sogar in den vorderen Reihen hat man entspannt Platz. Erst später wird es voller – das mag daran liegen, dass auf verschiedenen Websites das Konzert für 20 statt für 19 Uhr angekündigt war. Juse Ju selbst erinnerte übrigens seine Follower auf Instagram lieber mal daran, dass es schon so früh losgeht – er wolle im Anschluss noch auf den Dom, scherzte er da.
Das Uebel & Gefährlich füllt sich nur langsam: Viele Fans kommen später
„Zuckerbrot und Peitsche“, mit diesem Song eröffnet der 41-Jährige später dann die Show; um 19.45 Uhr. Sein neustes Album „Das Problem, dass immer irgendwas passiert“ ist im Oktober erschienen. In einer schwarzen, aufgeplustert-gepolsterten Jacke betritt er die Bühne, die Kapuze ist so tief ins Gesicht gezogen, dass man seine Augen nicht sieht. Schluss mit Müdigkeit: Durch seine gewaltige, einnehmende Präsenz und die raue, aggressive Stimme ist man schlagartig hellwach.
Juse Ju rappt gesellschaftskritische Texte zu markanten Beats
Der Rapper aus Kirchheim ist sehr gut gelaunt an diesem Abend. Er erzählt vor fast jedem Song Anekdoten, so geschmeidig, als würde er mit den besten Freunden auf einer WG-Party quatschen, und nicht vor Hunderten fremden Menschen. Er lacht viel und zeigt sich ausgelassen, er springt beim Performen umher, reißt Arme und Beine hoch, bringt seine markante Mimik zum Einsatz, schmettert auch mal seine Wasserflasche auf den Boden.
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Die Songtexte des Musikers, der auch als Journalist unter seinem bürgerlichen Namen Justus Hütter tätig ist, sind stets gesellschaftskritisch, regen das Köpfchen zum Nachdenken an. So wie sein Lied „Nine To Five“, in welchem er die Arbeitswelt und die Konditionen hinterfragt. „Die reichsten fünf Prozent dieser deutschen Industrie/wurden noch mal superreicher durch die Pandemie/Aber heul‘n rum, dass die Generation Z/sich nicht zu Tode ackern möchte für dieses Prinzip“, rappt er.
Auch ein Moshpit darf beim Konzert von Juse Ju in Hamburg nicht fehlen
Juse Ju schleudert seinen Fans in einem wahnsinnigen Tempo seine Zeilen um die Ohren, ohne dabei Wörter zu verschlucken oder unverständlich zu werden. Er singt mit so viel Gefühl und authentischer Wut, aufmerksam hängt man an seinen Lippen. Seine Stimme gepaart mit seinen ehrlichen Texten sind ein bisschen wie ein grobkörniges Meersalz-Peeling: Es prickelt, tut irgendwie ein bisschen weh, aber noch mehr tut es gut.
Die Luft im Raum wird langsam stickig, Juse Ju hat seine fette Winterjacke mittlerweile ausgezogen. Doch das hindert die Fans nicht daran, sich ordentlich zu bewegen: „Wer von euch ist heute für einen Moshpit hergekommen?“, fragt Juse Ju. Zu seinem Song „Ich lösche das Internet“, in welchem er verrohende Kommunikation auf Social Media und die Gefahr von künstlicher Intelligenz anprangert, schubsen sich die Fans in der ersten Reihen – natürlich rücksichtsvoll.
Juse Ju in Hamburg: Konzert endet mit ruhigem Song „Model in Tokio“
Dass er nicht nur fertige Texte, sondern auch improvisiert reimen und rappen kann, beweist er dem Publikum an diesem Abend. Kurz vor halb elf singt er seinen letzten Song „Model in Tokio“ – ein vergleichsweise ruhiger Abschluss. Juse Ju selbst hat als Kind mal in Japan gewohnt.