Hamburg. Am Thalia Theater gab es begehrte Theaterpreise für Darstellerinnen und Theatermacher. Ein Intendant kam sogar direkt nach Gott.
Eigentlich könnte man doch mal einen Preis für die schönste Danksagung vergeben. Preisverleihungen leben doch von solchen Momenten, es sind die, die man sich anschließend am liebsten erzählt, an die man sich nach dem ganzen „Da war ich jetzt gar nicht drauf vorbereitet“ (während eine vorbereitete Rede aus der Jacketttasche genestelt wird) besonders gern erinnert. Bei der Verleihung des wichtigsten deutschen Theaterpreises Der Faust – zum ersten Mal im Thalia Theater und nach 2014 zum zweiten Mal in Hamburg – hätte die Schauspielerin Fritzi Haberlandt solch eine Auszeichnung verdient.
Sie wurde für ihr Spiel in Jossi Wielers Inszenierung von Elfriede Jelineks „Angabe der Person“ gewürdigt (im Juni war die Vorstellung als Gastspiel des Deutschen Theaters zum Hamburger Theaterfestival geladen) und sprang dem durch den Abend moderierenden Kollegen Felix Knopp vor Glück erst einmal wie ein ausgelassenes Kind in die Arme – um dann ins Parkett zu strahlen und das Offensichtliche zu verkünden: „Ich freu mich so, wirklich! Scheiße!“
Theaterpreis Faust für Fritzi Haberlandt: „Ganz oben ist Gott, dann kommt Uli Khuon!“
Der Blick von eben dieser Bühne in den Zuschauerraum ist Haberlandt, die einst unter Ulrich Khuon zum Ensemble gehört hatte, wohlvertraut, weshalb ihr der Ort der Auszeichnung besonders nah ging: „Ausgerechnet im Thalia, das ist doch mein Theater! Also, es gehört mir nicht, noch nicht ... Aber wahrscheinlich werd ich hier sterben!“
Ulrich Khuon, der nicht nur ehemaliger Intendant des Hauses, sondern auch ehemaliger Präsident des Deutschen Bühnenvereins ist, saß übrigens ebenfalls im Publikum und dürfte sich, obwohl Theologe, über Fritzi Haberlandts spontane Liebeserklärung gefreut haben: „Ganz oben ist Gott, dann kommt Uli Khuon!“ Alles sei möglich am Theater, schob Haberlandt noch vergnügt hinterher und hatte eine Zustandsbeschreibung für alle parat, die es womöglich nicht mitbekommen hatten: „Ich flippe aus!“
Klaus Zehelein: „Ein Künstler, der nicht nach den Sternen greift, kann es sein lassen“
Das passte alles ganz hervorragend zu einem Satz, den kurz darauf die Regisseurin Johanna Wehner in ihrer Laudatio für den Faust-Preisträger Klaus Zehelein zitierte, der die Auszeichnung für sein Lebenswerk erhielt: Man solle „einen beherzten Bogen machen um Langweilerkram“ habe ihr der wegweisende Dramaturg und Opernintendant Zehelein einst geraten. Kann es einen besseren Ratschlag für eine junge Theatermacherin geben? Der 83-Jährige, den der im Exil lebende russische Regisseur Kirill Serebrennikov mit einer weiteren Laudatio und das Publikum mit Standing Ovations gebührend feierte, lieferte sogar gleich noch so einen Satz für die Ewigkeit: „Ein Künstler, der nicht nach den Sternen greift, kann es sein lassen.“
Apropos Sterne: Es funkelte auch vor der Bühne ganz gewaltig an diesem von Thalia-Ensemblemitglied Felix Knopp sehr stringent über die Bühne gebrachten Abend im Thalia Theater. Wann glitzerten dort – neben Theater-Schwarz in allen Farben, versteht sich – je derart viele Pailletten auf einem Haufen? Immerhin ist der Faust so etwas wie der Oscar der deutschen Theaterlandschaft. Der Wunsch nach Ausgelassenheit war spürbar. Hier saß nicht nur eine Branche, sondern „eine Gemeinschaft, die etwas zu feiern hat“, so fasste es Knopp, der fast ein bisschen Peter-Alexander-haft zwischen Showact und Moderation hin- und herswitchte, ganz gut zusammen. Eine Gemeinschaft, die sich einerseits frage, wie das gehen solle, mit dem Feiern und dem Weitermachen, und sich andererseits unbeirrt an Antwortmöglichkeiten versucht. Auch an diesem Abend wurde immer wieder die „Kraft des Theaters“ beschworen.
Das Theater wirke als „gemeinsamer Denkraum, in dem auch Widersprüche willkommen sind“, als „ein Ort des Friedens und ein Safe Space“, wie es Sibylle Peters vom ausgezeichneten Fundus Theater formulierte. Das unkonventionelle Hamburger Kinder- und Forschungstheater erhielt in diesem Jahr den Faust-Perspektivpreis der Länder.
Faust-Preisverleihung: Furchtlose Frauen waren fast ein roter Faden des Abends
Ebenfalls für ihre herausragende Bühnenarbeit geehrt wurden die „Zeremonienmeisterin“ Ligia Lewis in der Kategorie „Darsteller:in Tanz“ für die Ruhrtriennale-Produktion „A Plot/A Scandal“ und die Sopranistin Vera-Lotte Boecker als Missbrauchsopfer in „Bluthaus“, einer Inszenierung von Claus Guth an der Bayerischen Staatsoper in München. Sie habe die Partie zuerst gar nicht singen wollen, gestand Boecker auf der Thalia-Bühne. Dass sie es schließlich doch tat, sei „die schönste und schrecklichste Theatererfahrung ihres Lebens“ geworden. „Ihre vollkommene Konzentration und Hingabe machen Vera-Lotte Boeckers Spiel zu einem Ereignis“, befand die Faust-Jury.
Furchtlose Frauen, ja, fast war es ein roter Faden des Abends: Florentina Holzinger jedenfalls gehört ebenfalls unbedingt in diese Kategorie. Mit ihrer radikalen Volksbühnenarbeit „Ophelia‘s Got Talent“ war sie bereits zum Berliner Theatertreffen eingeladen, nun erhielt sie in Hamburg (wo ihr „Stück an der Schmerzgrenze“ im Sommer auch auf Kampnagel gastierte) den Faust in der Kategorie „Inszenierung Tanz“. Weil Holzinger selbst verhindert war, holte eine ihrer Kinderdarstellerinnen die Statue für sie ab.
Theaterpreis Faust im Thalia: Auch Alexander Riemenschneider wurde geehrt
Überhaupt gab es gleich einige Momente der Sichtbarkeit für den Nachwuchs und die Jugendarbeit: Das weibliche Duo Wicki Bernhardt und Janna Pinsker wurde für „Family Creatures“ am Mousonturm Frankfurt als „Theater-Darsteller:innen für junges Publikum“ ausgezeichnet, der regelmäßig auch in Hamburg arbeitende Regisseur Alexander Riemenschneider erhielt den Faust für seine Berliner Produktion „Das Kind träumt“. Die konfrontiere „ein jugendliches wie erwachsenes Publikum schonungslos mit dem Thema Flucht, Krieg und Vertreibung“, lobte die Jury. Riemenschneider riskiere, „dass die Zuschauer:innen phasenweise Düsternis und Hoffnungslosigkeit aushalten müssen“, ein „beispielhaftes Wagnis“.
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Mehr als 40 Künstler und Kollektive waren in zwölf Kategorien nominiert. Der Regisseur und Kölner Intendant Stefan Bachmann, der mit einem ausschließlich weiblichen Ensemble „die männlichen Abgründe der Wirtschaftsapparate“ seziert hatte, verdiente sich für seine Bühnenfassung von Rainald Goetz‘ Roman „Johann Holtrop“ den Faust für die beste Inszenierung des Jahres.
Und vielleicht war dies, neben dem Lebenswerkpreis an Klaus Zehelein und der Auszeichnung für Fritzi Haberlandt, so etwas wie der Hauptpreis des Abends. Trotzdem war es die Gewinnerin einer anderen, vermeintlich „kleineren“ Kategorie, die für einen weiteren memorable moment sorgte: Johanna Trudzinski bekam den Faust für ihre von der Jury als „süffig, verführerisch und prunkvoll“ gerühmten Kostüme in der Performance „Baroque“ am Schauspielhaus Bochum. Wie Fritzi Haberlandt verbindet auch sie eine persönliche Geschichte mit dem Ort der Preisverleihung: Als Studentin habe sie einst an der Thalia-Theaterbar gejobbt, erzählte Johanna Trudzinski in ihrer Dankesrede. Felix Knopp entfuhr ein ehrlich verblüfftes: „Ach, daher kenn ich dich!“
Und dann wurde gefeiert. Dafür waren all die Pailletten schließlich angetreten.