Hamburg. Charlotte Sprengers quietschbunter Versuch „Sonne/Luft“ ist an der Gaußstraße stellenweise unterhaltsam, aber insgesamt unterwältigend.
Die Sonne hat Gesprächsbedarf. Dabei weiß sie um ihre Sonderstellung: „Alles dreht sich um mich“, erklärt Barbara Nüsse selbstzufrieden und macht gar kein Geheimnis um ihre Zerstörungslust, auch wenn die dumme, sonnenhungrige Menschheit das nicht so recht kapieren will: „Ich bin die Mutter, aus der ganze Länder den Tod empfangen.“ Geradezu lächerlich dagegen die Erde: ein winziges Törtchen, das sich die dreigestaltige Strahlefrau als süße Zwischenmahlzeit einverleibt.
Am Thalia in der Gaußstraße rückt die Regisseurin Charlotte Sprenger mit Elfriede Jelineks jüngstem Text-Doppel „Sonne/Luft“ der ausbleibenden Unendlichkeit auf die Pelle. Eine vielstimmige Literaturnobelpreisträgerinnen-Wortkaskade, die den anstehenden Weltuntergang beschwört – durch die Klimakatastrophe, wohlgemerkt. Man muss das schon noch einmal erwähnen – das Angebot an Apokalypsen ist ja seit der Uraufführung von „Sonne, los jetzt!“ durch Nicolas Stemann in Zürich vor rund einem Jahr nicht übersichtlicher geworden.
Jelinek beschreibt dabei nicht nur bitter die Doofheit des sich selbst abschaffenden Menschengeschlechts („Du Opfer, ich schein auf dich!“) , sondern schlägt bei aller Narretei auch einen ungewohnt melancholischen Ton an. „Ich bin unendlich“, behauptet zwar die Sonne, „ich bin in alle Ewigkeit da.“ Genau dieser Satz aber, so leichthin dahergesprochen von einer immerhin 80 Jahre alten Schauspielerin, lässt auch das Gegenteil mitdenken.
Jelinek-Premiere am Thalia: Der Platz an der Sonne ist etwas undankbar
In knallpinken Wallekleidern (Ausstattung: Aleksandra Pavlović), gegen deren Grellheit man ganz gut einen eigenen Lichtschutzfaktor gebrauchen könnte, plaudern also die Sonne und ihre nicht weniger selbstbewussten Schwestern Eos und Selene (Lisa Hagmeister und Lisa-Marie Sommerfeld) über die Nähe von Furchtbarkeit und Fruchtbarkeit, über die Erde, diesen nebensächlichen „Fettklops“, der bekanntermaßen seit Jahren dahinschmilzt, und andere düstere Visionen. Ein trotzdem munteres Assoziieren ist das, in dem auch die Darstellerinnen ihre eigenen Textanteile reflektieren dürfen. Jede kürt einmal ihren „besten Satz bisher“. Wobei der Platz an der Sonne für Hagmeister und Sommerfeld etwas undankbar wirkt. Im Zentrum der Odysee durch den Weltraum strahlt klar und hell die wunderbare Barbara Nüsse.
Wie auf einem Schiedsrichter-Stuhl beim Tennis sitzt sie erhöht und betrachtet die merkwürdigen Erdlinge. Natürlich bereitet es Vergnügen, diesem Gedankenstrom zu lauschen. Da finden sich die typisch Jelinekschen Sprachspielereien und Anspielungen, so schöne Formulierungen wie „aufgenordetes Haar“ für das Verlangen nach sonnenblonden Strähnchen oder die hübsche Beobachtung „Wer hat schon eine Uhr? Außer eine sehr teure.“ Und warum ist da eigentlich noch niemand drauf gekommen: Dass der Mensch an sich so wenig Scharfsinn aufbringt, könnte daran liegen, dass in den Wirtshäusern kein Hirn mehr serviert wird.
Thalia-Premiere „Sonne/Luft“: Denken ist halt für Fortgeschrittene
Aber Denken ist halt für Fortgeschrittene, wie nicht zuletzt der „Chor der arglosen Männer“ beweist. Drei Kerle strampeln sich da im Midlife-Crisis-Rennrad-Outfit ab und schwadronieren in die und über die Luft: „Wir Menschen sind verzweifelt mit Atmen beschäftigt“, sagt Tilo Werner und freut sich über seinen Text: „Das ist mein bester Satz bis jetzt!“
Ansonsten sind die Jungs bei Jelinek und Sprenger nicht die hellsten Lichter unter der Sonne. „Zum Glück hat Gott das Ergebnis nicht allzu oft mit der Vorlage verglichen“, spottet Lisa Hagmeister beim Blick auf die ackernden Häuslebauer, die angeblich nach Gottes Ebenbild geschaffen wurden, aber vor allem viel Wind um sich und ihre Maskulinität machen. Auch in Form von Musik.
Für die ist nicht zum ersten Mal Schauspieler und Musiker Philipp Plessmann zuständig, und sie funktioniert wie eine Inszenierungsinsel, auf der man sich vom Dauergetexte ausruhen darf. Sind ja auch immer ganz schön viele Buchstaben bei Frau Jelinek. Da kommt ein Sonnenschein-Medley aus Hits wie „Like Ice In The Sunshine“, „Cover Me In Sunshine“ oder „Sunshine Reggae“ ganz gelegen. Das ist schon unterhaltsam. Aber als Idee auch etwas unterwältigend.
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Man sollte sich allerdings das Vergnügen gönnen, mit dem Zuschauerblick eine Weile an Tim Porath hängenzubleiben. Insbesondere während der Gesangsparts und gerade dann, wenn er vermeintlich nicht „dran“ ist: Wie seine Figur sich windet vor Fremdscham, wie er mit sparsamer Geste versucht, Peinlichkeiten zu überspielen – das macht schon großen Spaß.
Thalia-Premiere: Die Summe gelungener Momente ist noch keine runde Inszenierung
Aber die Summe gelungener Momente ist noch keine runde Inszenierung. Und schließlich: „It‘s better to burn out than to fade away“, wie wir von Neil Young und Kurt Cobain wissen. Charlotte Sprengers Inszenierung hätte solch ein radikaler Schnitt vermutlich gut getan. Sein Finale hat der Abend mit dem Sunshine-Medley im Grunde nach rund zwei Stunden erreicht – bloß folgen danach leider noch 20 weitere Minuten.
In denen darf noch einmal eine durchs viele Plastikfressen smartiebunte Eisbären-Bande durchs Bild tanzen, das Symbol der Erderwärmung, falls jemand bis hierher das grundsätzliche Thema noch nicht verstanden haben sollte. Vielleicht ist das Bären-Ballett bloß da, weil die Kostüme so toll sind? Wie eine nicht rechtzeitig gestrichene Zugabe wirkt auch der in sich durchaus stimmige und mit Wucht gespielte Monolog der Schauspielerin Victoria Trauttmansdorff, die sich nur noch im Strahlenschutzanzug ins Verderben wagt. Zu retten ist da nicht mehr viel. Das Ende – und das ist dann auch das passende letzte Wort – läuft ins „Nichts“.
„Sonne/Luft“, Thalia in der Gaußstraße, wieder am 14., 21. und 25.11., jew. 20 Uhr, www.thalia-theater.de