Hamburg. Im Rahmen der Konzertreihe „Musikalische Stolpersteine“ war nicht nur Musik zu hören. Viel Polizei sicherte die Veranstaltung.

Es war schon ein ebenso ungewohntes wie traurig stimmendes Bild, dass so viele Polizistinnen und Polizisten das Rolf-Liebermann-Studio des NDR am Donnerstag weiträumig von außen überwachen mussten. Das erst vor fünf Jahren gegründete Jewish Chamber Orchestra Hamburg hatte zu einer musikalisch-literarischen Gedenkveranstaltung an die Novemberpogrome 1938 im Rahmen seiner Konzertreihe „Musikalische Stolpersteine“ eingeladen.

In seiner Begrüßungsrede erinnerte der Kultursenator Carsten Brosda an den 9. November, der vor 85 Jahren auch in Hamburg unauslöschliche Brandnarben im gesellschaftlichen Miteinander hinterlassen habe. Er sprach von Orten der Erinnerung wie der 1938 in der Oberstraße verwüsteten Synagoge, wo heute des Rolf-Liebermann-Studio beheimatet ist, und den erst kürzlich begonnenen archäologischen Arbeiten am Joseph-Carlebach-Platz, wo nach Spuren der zerstörten Bornplatz Synagoge gesucht wird, und richtete den Blick auf unsere Gegenwart und die neu aufkeimende Bedrohung jüdischer Kultur.

Jewish Chamber Orchestra: Konzert als Erinnerung und Mahnung

„Ein Miteinander in Freiheit und Vielfalt kann nur gelingen, wenn Terror, Menschenhass und Gewalt darin keinen Platz haben“, sagte er. „Auch die Kultur – gerade die Kultur –, trägt hier eine besondere Verantwortung. Wenn jüdische Menschen sich auch in Deutschland nicht mehr sicher fühlen, wenn Synagogen und jüdische Institutionen bedroht und angegriffen werden, dann müssen wir handeln. Wir müssen laut widersprechen.“

Das Konzert, zu dem das junge, vom Bratschisten und Komponisten Emanuel Meshvinski geführte Ensemble auch den Schauspieler Stephan Kampwirth als Rezitator eingeladen hatte, begann mit einem kurzen Zitat aus den „26 Kritiken über musikalische Veranstaltungen in Theresienstadt“ des Komponisten Viktor Ullmann und dessen Streichquartett Nr. 3 op. 46. Kurz vor seiner Deportation und Ermordung in Auschwitz-Birkenau hatte Ullmann dieses beeindruckende Werk geschrieben, das mit seinem lyrischen, von einer kurzen nickenden Geste unterbrochenem Thema und den emphatischen Steigerungen viel von Ullmanns noch ungebrochener Hoffnung auszudrücken scheint.

Das Grauen der Konzentrationslager wurde greifbar

Perfekt gelang Meshvinski, den Geigern Natalia Alenitsyna und Desheng Chen sowie dem Cellisten Jakob Solle der springende, durch alle Register gehende Wechsel zwischen gezupften und gestrichenen Phrasen, die irgendwann in ein energisches Tutti mündeten.

In einem von Kampwirth rezitierten Ausschnitt aus dem Text „Die Frauen von Birkenau“ der polnischen Auschwitz-Überlebenden Serena Szmaglewska wurde das ganze Grauen der Konzentrationslager und in Ilse Aichingers „Das vierte Tor“ der Schmerz und die Ohnmacht, all das irgendwie verarbeiten zu können, greifbar.

Werk knüpft an Stimmung des Barber-Adagios an

Nachdem das Quartett des Jewish Chambers Orchestra Hamburg auch noch die „5 Stücke für Streichquartett“ von Erwin Schulhoff in ihrer weit radikaleren, auch vom Jazz beeinflussten Klangsprache präsentiert hatte, traten weitere acht Musikerinnen und Musiker hinzu, um das berühmte „Adagio for Strings“ von Samuel Barber und zwei von Meshvinski komponierte Stücke zu spielen. Eines davon, „Left Behind“, war eine Uraufführung, und Meshvinski widmete es allen Opfern antisemitischer Gewalt.

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Ein wenig knüpfte das neue Werk an die Stimmung des Barber-Adagios an. Eine Art Klagegesang, der bei Meshvinski aber mit sehr positiven, hellen Wendungen versehen war. Seine in diesem Jahr mit dem Kompositionspreis der ESTA Schweiz ausgezeichnete „Romance for String Orchestra“ erinnerte dagegen ein wenig an die alten Filmmusiken Charlie Chaplins.