Hamburg. Kurz vor der Premiere von “Die Entführung aus dem Serail“ hatte sich die Oper von Paul-Georg Dittrich getrennt – und David Bösch engagiert.

Ein Anruf aus Hamburg. Dann von Düsseldorf aus in kurzer Zeit viele Anschlussgespräche führen, „vor allem über das Stück und die Umstände nachdenken“ und eine Nacht deswegen nicht schlafen. Stattdessen: Mozart hören. „Es gibt Schlimmeres als eine Nacht mit Mozart. Wir haben schon lange eine Liebesbeziehung, jetzt hatten wir eine intensive, leidenschaftliche Nacht.“ Dann war ihm klar: Okay, ich mach’s.

Nun ist es nicht so, dass der Regisseur David Bösch nicht schon Anfragen für Mozarts „Entführung aus dem Serail“ bekommen hätte. Aber dieser Fall lag anders: Am 2. Oktober meldete sich die Staatsoper aus Hamburg bei ihm, am späten Nachmittag des 4. Oktober, 17.35 Uhr, ging die Pressemeldung raus, die verkündete, dass man sich mit sofortiger Wirkung vom ursprünglich vorgesehenen Regisseur Paul-Georg Dittrich getrennt habe – „aufgrund künstlerischer Unvereinbarkeiten“. Näheres wurde nicht bekannt.

Staatsoper: David Bösch hätte frei gehabt – und inszenierte dann doch Mozart

An diesem Sonntag ist nun Premiere, und jetzt ist so überraschend wie kurzfristig Bösch ihr Regisseur. Eigentlich hätte er frei gehabt, bis demnächst Proben im Berliner Ensemble beginnen, Uraufführung am 24. November, „Der Weg zurück“ heißt das Stück von David Kelly, sinnigerweise. Böschs Weg bog unvermittelt ab, zurück an die Dammtorstraße.

Dort hat er während der Corona-Zwangspause eine großartige „Manon“ hingestellt. Dann kam als Experiment die ebenfalls gelungene „Graphic Opera“-Verfilmung von Zimmermanns „Weiße Rose“. Im nächsten Frühjahr steht ein launiger Donizetti, „Don Pasquale“, im Auftragsbuch. Der ist verabredet, der wird auch gemacht wie bestellt.

Mozart-Retter Bösch: "Ich hätte das nicht bei einem anderen Haus gemacht"

Dieser Mozart aber ist jetzt eher eine sehr abenteuerliche Sturzgeburt; ein großer gegenseitiger Vertrauensbeweis von Haus und Gast ist er auch. „Ich hätte das nicht bei einem anderen Haus gemacht. Wenn man dieses Stück inszenieren darf, egal mit wie viel Zeit, hat das wenig damit zu tun, sich das anzutun, sondern ist immer ein großes Geschenk. So wie jetzt ist es eine andere Art von Herausforderung. Ein lustvolles Spielen mit dieser Situation.“

Zwei Wochen nur also – die Zeit raste seitdem Richtung Ziellinie – statt sechs. Ohne die üblichen langen Planungsvorläufe für Szene, Bühne, Kostüme, Licht. Ohne so ziemlich alles. Einfach komplett zurück in den Startblock und auf sich und seine Ideen vertrauen. Es muss mächtig gerappelt haben, als der Regisseur noch Paul-Georg Dittrich hieß.

Bösch wollte nach seiner Zusage davon gar nichts wissen (oder mag höflich nicht darüber reden). Vergossene Milch, egal jetzt. Die Uhr läuft. „Wir haben gesagt: Es gibt eine neue Art, die Geschichte zu erzählen“, sagt Bösch zwischen zwei Probenblöcken beim Gespräch in der Stifterlounge. Die Grundidee, die mit Burghart Klaußner als Bassa Selim zu tun hat, „mit der gehen wir auch um, erzählen wir auch, aber ganz anders“.

"Große Oper braucht nicht immer große Mittel"

Die „Entführung“ sei schon länger auf seiner inneren Wunschliste gewesen. Wie ein Shakespeare-Stück hätte auch dieser Mozart eine sehr gute Handlung, findet Bösch. „Man kann auf das Wechselspiel zwischen hoher Emotionalität, Tragik, Liebessehnsucht und Komik setzen. Diese Bandbreite wollen wir jetzt herauskitzeln. Die Ästhetik hat jetzt vielleicht etwas Skizzenhaftes“, sagt er. Für eine rundum neue Kulisse war keine Zeit, weniger aufwendig wird alles sein.

Wobei „wenig“ ja nicht wenig sein muss – Peter Brook kam für eine zauberhaft leere „Zauberflöte“ mit einigen Bambusstäben aus. „Die Leere ist ja auch ein großer Raum, in dem wir uns alle befinden, immer mal wieder“, so sieht Bösch das, „diese Einfachheit passt sehr gut zu dem Stück. Ich würde mir wünschen, dass ich auch bei zwei Jahren Vorlauf kein anderes gewählt hätte.“ Für ihn ist das ein reizvoller Kontrast zum opulenteren Ausstattungstheater, mit dem seine „Manon“ aufwartete. „Große Oper braucht nicht immer große Mittel.“

Alles neu in nur zwei Wochen: Bösch baut auf Professionalität des Ensembles

Mozart-Neuling ist er nicht, im Gegenteil, die drei Da-Ponte-Opern hat er bereits gestemmt, die „Zauberflöte“ fehlt noch. Vorbeschäftigung mit der „Entführung“ gab es bereits. Jetzt ist dort sein Ziel, „mit den Sängerinnen und Sängern eine szenische Fantasie zu entwickeln. Und manchmal ist es da nicht so wichtig, ob man drei Stunden oder drei Tage dafür hat.“ Keine leichte Aufgabe auch für das Ensemble, das wochenlang Wege von A nach B zu verinnerlichen hatte und nun ganz neu gefordert ist. „Wir müssen damit jetzt gut gelaunt, positiv und konstruktiv umgehen. Das ist Professionalität.“

Konzertant de luxe ist deswegen aber nicht zu befürchten, betont Bösch, dafür habe diese Oper zu viele Kontraste und Möglichkeiten, sie auszureizen, einzutauchen und zu versinken. „Musikalisch ist es eine De-luxe-Inszenierung, und bei der Regie ist mein Bestreben, dem genauso gegenüberzustehen.“

Trotz Sonderschichten und 180-Grad-Wende: "Die haben das wirklich bravourös gemacht"

Um einige Sonderschichten oberhalb des normalen Pensums sei man nicht herumgekommen, berichtet Bösch, dem man in diesem Moment jede einzelne Proben-Minute am Gesicht ablesen kann. „Die haben das wirklich bravourös gemacht“. Probe am Sonnabendabend, eine Extra-Probe auf der Bühne. „Wir dürfen’s aber auch nicht überreizen.“ Eine Premierenverschiebung war für ihn aber nie eine Option. „Von Anfang an war klar: Wir müssen das schaffen. Das ist eine vollwertige Produktion.“

Zeit für die Gretchenfrage: Was haben Sie sich bei der Inszenierung gedacht? „Ich versuche möglichst nah an den Reichtum der Musik und der inneren Welt zu kommen. Bassa Selim versucht, diese Frau Konstanze zu gewinnen, auf lächerliche, verzweifelte Art und Weise sie dazu zu bringen …, dass sie ihn liebt. Es geht ums Leben, um Lebendigkeit.“

Dann entdeckt Bösch am Himmel vor dem Fensterpanorama erfreut einen Regenbogen, das sei doch ein gutes Omen. Und muss kurz gähnen. Mozart ruft, schon wieder.

Premiere: 17.10., 18 Uhr, Staatsoper. Karten: T. 35 68 68 und www.staatsoper-hamburg.de