Hamburg. Anlässlich des 100. Geburtstags von Sophie Scholl entsteht derzeit in der Staatsoper eine animierte Version des Bühnenstücks.
Wie bringt man einem „Nieder mit Hitler!“-Flugblatt bei, auf welche Seite es vor laufender Kamera zu fallen hat, damit die Schrift lesbar ist? Viel Geduld mit dieser Requisite ist jedenfalls hilfreich. Wieder und wieder wird diese Szene im Vierfünfteldunkel der Opera stabile wiederholt. Denn wieder und wieder fällt das Blatt mit der Schrift zuverlässig nach unten in den Kunst-Matsch, der im Fünf-Minuten-Takt mit Wasser aufgefrischt wird. Dann, endlich, Punktlandung. Kurzer Szenenapplaus, weiter geht’s.
Der Regisseur David Bösch probt in diesem Kohlenkeller-Ambiente für eine Staatsopern-Premiere, obwohl: Probe kann man eigentlich nicht nennen, was hier passiert. Puzzleteile basteln, sie passend machen und für später ordentlich abheften träfe es schon eher.
Die letzten Tage der Geschwister Sophie und Hans Scholl
Die Vorlage „Die Weiße Rose“ erzählt die letzten Tage der Geschwister Sophie und Hans Scholl, bevor sie wegen ihres Widerstandskampfs am 22. Februar 1943 von den Nazis ermordet wurden, Tod durch das Fallbeil. Udo Zimmermann vertonte diese tragische Episode deutscher Geschichte 1967 ein erstes Mal, mit dem klaren Ablauf eines Finales.
Die zweite Version, 1986 entstanden, wurde völlig anders und beschreibt die letzten Tage nun vor allem aus der Innensicht der zwei Charaktere, widergespiegelt werden Verzweiflung und Todesangst. Eine Textcollage wird aufgeblättert, Selbstgespräche, ergänzt mit Passagen aus Briefen, Lyrik und Alttestamentarischem. Haltung statt Handlung.
Bonusmaterial für den Schulunterricht
Ihre Uraufführung hatte diese Kammeroper in Hamburg, in der Vorgängerversion der jetzigen Opera stabile. Zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl im Mai soll die zweite „Weiße Rose“ wieder auf eine hiesige Bühne, wieder auch als Lehr-Stoff zum Thema Zivilcourage und Mahnung insbesondere für junges Publikum, das Bonusmaterial für den Schulunterricht erhalten kann.
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Aber, und da wird es speziell, das Stück an sich kommt nun als Graphic Opera: Filmpassagen mit Darstellern aus Fleisch und Blut, kombiniert mit handgezeichneten Animationsszenen. Eine Probebühne weiter ist für Sonderprobleme dieser Umsetzung eine große Green-Screen-Leinwand aufgehängt. Fast wie bei den Muskelbergen von Marvel in Hollywood, nur kleiner und mit ganz anderen Helden, im Mittelpunkt einer ganz anderen Geschichte.
Das nächste Detailproblem
Auf dem Set nebenan geht es um das nächste Detailproblem: Der Mond darf sich nicht zu klar in einer Pfütze spiegeln, sonst sieht er wie der Scheinwerfer aus, der er nun mal ist. Und der Nazi-Darsteller mit einschlägigem Nazi-Ledermantel und Hakenkreuz-Armbinde braucht einige Anläufe, um mit demNazi-Stiefel genau dort am Pfützenrand aufzutreten, wo er hinsoll. Zwei Wochen Drehzeit hat Bösch, viel ist das nun wirklich nicht für etwa 40 Minuten Filmmaterial bei rund 75 Minuten Gesamtlänge. Danach folgt etwa ein Monat Postproduktion, bevor das Ergebnis online geht.
Die Entscheidung für einen Feldversuch mit diesem ungewöhnlichen Format fiel nach Böschs Haus-Debüt mit einer höchst gelungenen „Manon“-Inszenierung, die vor einigen Wochen für die reale Bühne im Großen Haus entstand. Nun ist Bösch schon wieder da, leise, dezent, freundlich, weit weg von jedem nassforschen Forderton.
Zimmermanns vielschichtige Musik kommt vom Band
An einer Seitenwand der Stabile hängen Storyboard-Skizzen, Böschs „Manon“-Bühnenbildner Patrick Mannwardt ist ebenfalls vor Ort, immer einige Corona-konforme Schritte neben Bösch, der vor dem Kamera-Monitor kniet, um sich die Dynamik der Filmszenen einzuprägen. Am Bühnenrand ist eine Gefängniszelle aufgebaut, als zentrale Kulisse. Für das süßliche Aroma der Luft sorgen die stattlichen Portionen Kunstnebel, die ein Assistent in den Raum bläst.
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Zimmermanns vielschichtige Musik, für ein Kammerorchester geschrieben, kommt vom Band. Die Gesangspartien der Hauptfiguren sind für das Zwei-Personen-Stück bereits im Kasten: Sophie wird von der Sopranistin Marie-Dominique Ryckmanns aus dem Opernstudio gesungen, Hans vom österreichischen Tenor Michael Fischer. Der hatte diesen nicht gerade oft verlangten Part gerade drauf, weil er ihn in einer anderen Produktion in Nürnberg hätte singen sollen. Aber: Corona. Nun also hier. Eine Portion Künstlerglück im Pandemie-Pech. Freude über dieses Dürfen kann sich auch mit Maske im Gesicht abzeichnen.
Künstlichkeit des Konzepts hat auch etwas Gutes
Die Künstlichkeit des Konzepts hat auch etwas Gutes: „Geht nicht“ gibts hier so schnell nicht. Eine Kindergestalt, die sich auf einer Hand materialisieren soll? Ein Schreibtisch, auf dem eine Kriegsszene ausbricht? Alles kein Problem. Was real nicht zu haben oder zu machen ist, wird dann eben passend gezeichnet. Bösch klingt deswegen sehr entspannt, „Animation ist ein tolles Medium, um in Innenwelten zu schauen und die Musik gleichgewichtig zu erzählen“, findet er.
„Das Genre kann ganz viel, auch beim Publikum kann es mehr.“ Die Wandlung ins Virtuelle sei jedenfalls keine Notwehr gegen die Corona-Zwänge, das ist „eine künstlerische Form, die sehr für sich spricht“. Die Faszination dieser Idee wirkt durchaus, auch bei den Momentaufnahmen schon.
Film, Buch, Insta
- Streaming-Premiere: „Die Weiße Rose“ läuft am 9. Mai als „Graphic Opera“ bei Arte Concert unter www.arte.tv, weitere Informationen unter www.staatsoperhamburg.de
- Buch: Robert M. Zoske „Sophie Scholl. Es reut mich nichts. Porträt einer Widerständigen“ (Propyläen/ Ullstein, 448 Seiten, 24 Euro).
- Instagram-Projekt: SWR und BR beginnen am 4. Mai unter @ichbinsophiescholl ein Echtzeitprojekt mit Schauspielern und Spielszenen. Die Initiative „Offen für Vielfalt“ startet am 9. Mai für alle Sophie- und GeschwisterScholl-Schulen einen bundesweiten Schreibwettbewerb.
Viele Menschen, die sich darauf konzentrieren, eine kleine Szene so zu gestalten, dass sie dem Gesamtkonzept entspricht – genau das ist doch das, was Kunstproduktion ausmacht. Die gemeinsame Verabredung, das kollektive Wollen, und sei es nur, einem störrischen Flugblatt beizubringen, wo oben ist und wo unten. Theater eben. Und am Ende – weil es der Luft-Überwacher vorschreibt und der Rest der Welt vor dem Bühneneingang noch so ist wie vorher – sind Pause und eine Runde Lüften dran.