Hamburg. Glamourös, lässig, selbstironisch, lustig und mit der Leuchtkraft einer Discokugel: Tolle Frau, tolles Konzert in Hamburg.
„Das hier ist Primetime“, steht auf den roten Papierherzen, die das Publikum jubelnd in die Höhe hält. Da verschlägt es Alli Neumann bei ihrem ausverkauften Konzert im Uebel & Gefährlich kurz die Sprache. „Oh, mein Herz“, ruft sie gerührt von dieser Fan-Aktion ins Mikro. Und dann geht es weiter mit dem Titelsong ihres zweiten Albums „Primetime“. Beste Sendezeit für die Sängerin, Song-Schreiberin, Schauspielerin. Und wie sie da über die Bühne tigert und tanzt, irgendwo zwischen Mick Jagger und Gwen Stefani, wie sie ihre raspel-raue Stimme mit viel Reibung hochfliegen lässt zu Rock, Funk und Pop, das ist schlichtweg ansteckend.
„Meine Musik wird erst richtig echt, wenn ich sehe, dass ihr sie fühlt“, sagt Alli Neumann breit strahlend. Das Publikum im Bunkerclub: ein Spiegel ihrer Vita. Von coolen jungen Frauen mit Punk in Herz und Haaren bis hin zu entspanntem TV-Publikum, das die Künstlerin über die Show „Sing meinen Song“ kennengelernt hat. Und bei ihrem fast zweistündigen Konzert drängt sich das Gefühl auf: Solch ein weiblicher Popstar hat hierzulande wirklich gefehlt. Androgyn, glamourös, lässig, selbstironisch, lustig, kritisch, viel fühlend und mit der Leuchtkraft einer Discokugel bewegt sie sich spielerisch zwischen Subkultur und Mainstream. Alles tief, alles easy.
Uebel und Gefährlich: Alli Neumann rechnet bei Hamburg-Konzert mit Patriarchat im Allgemeinen ab
„Also bye, Geduld ist vorbei, ich bin für Revolution“, singt sie in „Keine Zeit‟. Die ruhige Nummer „Seltsame Welt‟ wiederum ist Alli Neumanns Kommentar zu den komplexen und kriegerischen Geschehnissen dieser Tage. Den Text singt sie auf Deutsch und Jiddisch. Ihr Auftritt ist unbedingt emotional und abwechslungsreich. Sie rechnet mit dem Patriarchat im Allgemeinen ebenso ab wie mit toxischen Ex-Liebhabern. Und sie erklärt mit schönster Zärtlichkeit: „Ich liebe mich.“ Begleitet wird sie dabei von einer starken Band – von Gitarrist Leon Kraack, Isabel „Izzy‟ Ment an Keyboard und Gitarre, Shanice Ruby Bennett am Bass und Tim Hartig am Schlagzeug.
„Es sind die heißesten Leute aus ganz Hamburg da“, sagt Alli Neumann flirtend und lachend mit Blick in den Saal. Die Hansestadt ist für die Musikerin nicht nur der letzte Stopp ihrer Tour, sondern auch ein halbes Heimspiel. Hier tauchte sie in die Musikszene ein, hier lebte sie mit ihren drei Schwestern in einer WG. Ausführlich stellt sie zudem die Hamburger Hilfsorganisation Hanseatic Help vor, die bei dem Konzert über ihre Arbeit aufklärt und Spenden sammelt.
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Alli Neumann sieht mitunter aus wie eine Wiedergängerin von David Bowie
Das Finale driftet schließlich mit Hits wie „Berlin Nightlife“, „Blue“ und „Frei“ in den Partymodus. Und wenn Alli Neumann sich dann breitbeinig in Rockstarpose schmeißt, intensiv in die Menge zeigt und ein Bein nach vorne kickt, dann scheint das gleichermaßen Selbstermächtigung und augenzwinkerndes Zitat zu sein. In Sakko und mit Schlips, in bauchfreiem Hemd und funkelnder Paillettenhose sieht sie mitunter aus wie eine Wiedergängerin von David Bowie. Das orange-blonde Haar weht dazu im Ventilator-Wind. Und hinter ihr auf der Bühne prangt ein großer Diva-Spiegel. Für noch mehr Funkeln.