Hamburg. Außergewöhnlich: Soloperformance im K3 schafft einen niedrigschwelligen Zugang zum bekannten Ballett-Klassiker.

„Schwanensee“ gilt ja als der Ballett-Klassiker schlechthin. Eine eigenwillige Annäherung an den Stoff haben die Dresdner Choreografinnen Nora Otte und Anna Till nun in der bundesweiten Reihe „Explore Dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum“ im K3 –Zentrum für Choreographie auf Kampnagel aufgeführt.

In der Soloperformance „Schwanensee in Sneakers“ sitzt Anna Till zunächst an einem Tisch, dreht den Kopf, kommt in den Stand und beginnt, sich wie ein Roboter zu bewegen. Gekleidet in einen schwarz-weißen Einteiler (Raum und Kostüm Konstanze Grotkopp) werden ihre Bewegungen nach und nach immer ausladender.

Ballett Hamburg: „Schwanensee in Sneakers“ – eigenwillige Annäherung im K3

Schließlich geht sie auf allen vieren mit nach hinten verdrehten Händen wie ein seltsames Doppelwesen über den Boden. Über ein neben einem DVD-Stapel ruhendes Laufband erfahren die Besucher, dass es sich dabei um angeeignete Bewegungen aus der Tanzperformance „Self Unfinished“ (1998) des Choreografen Xavier Le Roy handelt. Die Musik (Johannes Till) und manchmal auch eine männliche Stimme, mit der die Tänzerin immer wieder kurze Zwiesprache hält, tönt bald aus einem alten Transistor. „Wolltest du nicht tanzen?“, fragt die Stimme.

Und Anna Till tanzt. Mit der Zeit eröffnet sie einen gewaltigen Tanzkosmos. Denn sie formt auch Bewegungen aus Dore Hoyers „Liebe“ aus dem Zyklus „Affectos Humanos“ (1967) oder aus Anne Teresa De Keersmaekers/Rosas „Fase, Four Mouvements to he Music of Steve Reich“ (1982), collagiert sie jedoch immer auch mit eigenen zeitgenössischen Bewegungen, mal grotesk, mal experimentell. Von ausladenden Schritten mit gestreckten Armen und Beinen bis zu Bodenrollen und Drehungen.

„Schwanensee“: Verblüffend, wie viel vom Klassiker trotz Reduktion vermittelt wird

In wenigen Sätzen und mit ausgewählten Schritten – unter anderem in Sneakers – erzählt sie auch Marius Petipas „Schwanensee“ (1895). Sogar der „Tanz der kleinen Schwäne“ kommt vor. Es ist verblüffend, wie viel von dem Klassiker um den Prinzen Siegfried und die Schwanenjungfrau Odette sich in der Reduktion vermittelt. Die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer ab 12 Jahren schauen der Tänzerin gebannt zu.

Die Faszination dieser außergewöhnlich gelungenen Performance liegt darin, dass sie durch den Tanz einen tollen Eindruck von den vielfältigen Möglichkeiten eines Körpers im Raum gibt, dabei nebenbei Wissen über die jüngere Tanzgeschichte vermittelt – und einen niedrigschwelligen Zugang zu dem bekanntesten Ballett-Klassiker ermöglicht.

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Das ist sehr klug ausgedacht, originell und humorvoll umgesetzt und zeigt einmal mehr die Möglichkeiten der wundervollen Reihe „Explore Dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum“ auf. Nämlich jungen Menschen die Faszination unterschiedlichster Bewegungsformen nahezubringen. Dank der wenigen benötigten Requisiten, wird „Schwanensee in Sneakers“ auch als Pop-up-Performance in Schulklassen gezeigt. Das Tanzstück überzeugte auch die Jury der Tanzplattform Deutschland 2024 in Freiburg, zu der es nun eingeladen ist. Ein verdienter, ein schöner Erfolg. Ende des Jahres läuft jedoch die Förderung für dieses so wertvolle Programm aus. Bleibt zu hoffen, dass eine Fortführung doch noch gelingt.