Hamburg. Eine romantische Komödie für Best Ager: Daniel Krauss inszeniert Christina Herrströms „Mein Name ist Erling“ am Winterhuder Fährhaus.
Die Spielwarenabteilung im Kaufhaus ist in der Vorweihnachtszeit wahrscheinlich der unromantischste Ort, an dem man sich treffen kann. „Last Christmas“ brüllt aus den Lautsprechern, man bekommt ständig Sonderangebote vorgesetzt, die man überhaupt nicht braucht, und wenn man auf einen Kaffee ins Restaurant möchte, dann gibt es im Selbstbedienungsrestaurant ausschließlich überteuerten Glühwein. In diesem Sinne: Die Ausgangssituation, die Christina Herrström für ihre Komödie „Mein Name ist Erling“ (Deutsch von Regine Elsässer) entwickelt hat, ist angenehm kitschfrei. Und wie diese Situation von Daniel Krauss am Winterhuder Fährhaus inszeniert wird, doppelt diese Kitschfreiheit.
Ausstatter Jan Müller hat eine Kaufhauslandschaft in plüschiger Trostlosigkeit gebaut, und das Sounddesign tut ebenfalls alles, damit keine Stimmung eines romantischen Dates aufkommt. Doch tatsächlich haben Rosmarie und John auch gar kein Date, sie rennen nur aneinander vorbei, auf der Suche nach letzten Weihnachtsgeschenken. Aber plötzlich kommen die Erinnerungen: daran, wie sie vor 32 oder 34 Jahren (die Meinungen gehen auseinander) mal eine Affäre hatten. Und wie sich ihre Leben im Anschluss in andere Richtungen bewegten, seines in eine unspektakuläre Ehe, ihres in die Trauer um die verflossene Liebe und in die Einsamkeit.
Winterhuder Fährhaus: Weihnachtssatire wird zur Herzerwärmungskomödie
Ziemlich schnell wird klar, dass Rosmarie und John wieder zusammenkommen sollten, nur findet keiner von beiden den Mut, das zu sagen. Auf den undramatischen Abschied an der Bushaltestelle aber folgt ein Stimmungswechsel: Anscheinend hat das überraschende Wiedersehen etwas in den verhinderten Liebenden getriggert, jedenfalls taucht plötzlich Erling auf, angeblich der Sohn der beiden. Und obwohl Rosmarie weiß, dass sie keine Kinder hat, zwingt Erling sie, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen.
Was als böse Weihnachtssatire begann, rutscht also ganz schnell in eine heiter-besinnliche Herzerwärmungskomödie, in der ein älteres Paar wieder zueinanderfindet. Da macht es sich Herrström ein bisschen einfach, die Herzen des Publikums zu berühren, und Krauss, der den Stückeinstieg mit Mut zum bösen Detail meisterte, folgt der Autorin konsequent auf diesem Weg ins Sentiment.
In John steckt mehr als ein wehleidiger Spießer
Was den Abend aber über die Konvention hinwegrettet, sind die Schauspieler: Janina Hartwigs Rosmarie ist eine Frau, der das Alleinsein eine gewisse emotionale Verhärtung verschafft hat, aber auch eine Autonomie, die sie das Leben eigentlich ganz gut meistern lässt. John dagegen ist ein Stubenhocker, der sich womöglich mehr vom Leben erwartet hatte, als er am Ende bekam. Sebastian Goder spielt das schön untertourig, meist spricht er seine Gags mehr zu sich als zum Publikum – das ist fein beobachtet und ebenso fein umgesetzt.
Weswegen Krauss’ Inszenierung es sich auch manchmal leisten kann, überdeutlich zu werden: Als Glühwein statt des bestellten Kaffees serviert wird, erinnert sich der freundliche, ältere Herr zwar noch kurz daran, dass er Diabetes habe, „aber hin und wieder muss man sich was gönnen!“ Nieder mit allen Zwängen! Und passend dazu verändert sich an dieser Stelle auch die Musik, aus den süßlichen Weihnachtsschlagern wird Ton Steine Scherbens Anarcho-Hymne „Keine Macht für Niemand“, was ein kleiner Hinweis darauf ist, dass in John mehr steckt als ein wehleidiger Spießer.
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Winterhuder Fährhaus: Erling „herzerwärmend naiv und total creepy“
Das Zentrum des Abends aber ist Cem Lukas Yeginer als Erling (vom 29. Dezember bis 3. Januar wird die Rolle allerdings von Adrian Linz übernommen). Der hat zwar gar nicht besonders viele Auftritte, diese aber spielt er mit Mut zur raumgreifenden Körperlichkeit bei gleichzeitiger Bedrohlichkeit. Eine Figur, die, so Theaterleiterin Britta Duah nach der Premiere, parallel „herzerwärmend naiv und total creepy“ daherkommt und die so einen Katalysator in der Beziehung eines Paares darstellt. Am Ende steht ein Kuss, natürlich, das ahnte man schon von den ersten Szenen an.