Hamburg. Auf Kampnagel wurden die Preisträger für die Saison 2022/23 geehrt. Schauspieler Kristof Van Boven schon zum zweiten Mal.
Die Tradition ist geblieben und der Preis für manche noch immer heiß, wenn an einem Montagabend im Herbst Theaterschaffende aus allen Ecken und Sparten, von staatlichen und privat geführten Bühnen der Stadt zu einem „schönen Klassentreffen“ zusammenkommen, wie manche die Verleihung des Theaterpreises Hamburg – Rolf Mares (zuvor Rolf-Mares-Preis) gern flapsig nennen. Und die Preisvergabe hielt, zumindest für Uneingeweihte, auch im 17. Jahr ihres Bestehens erneut einige Überraschungen bereit.
Die gut zweistündige Gala in der Halle K2 auf Kampnagel, wie schon vor zwei Jahren im Opernloft launig präsentiert vom TV-Moderator und Conferencier Michel Abdollahi, brachte in der Spielzeit 2022/23 diesmal insgesamt neun Preisträger ans (Rampen-)Licht, wie so oft von Klein bis ganz Groß. Genau genommen waren es nur acht, denn der Sonderpreis „für herausragende Leistungen im Rahmen des Hamburger Theaterlebens“ ging an das Theaterschiff, für das Inhaber und Geschäftsführer Heiko Schlesselmann sowie Michael Frowin (Künstlerische Leitung) doppelt geehrt wurden.
Auszeichnung: Der Theaterpreis Hamburg – immer gut für Überraschungen
Ihr Programm auf einer der kleinsten (120 Plätze), in jedem Fall der niedrigsten Bühne der Stadt im Nikolaifleet befand die Jury als „immer wieder erstaunlich und beglückend und einen unverzichtbaren und ganz besonderen Bestandteil der Hamburger Theaterszene“. In der Tat haben es Frowin und Schlesselmann nach der aufwendigen und teuren Sanierung (mit Ausweichliegeplätzen und Ersatzspielstätten) verstanden, die einzige hochseetüchtige Bühne Europas wieder flottzumachen, außer mit politischem und literarisch-musikalischem Kabarett zuletzt auch mit Shows bis hin zu einer Matrosen-Revue.
1000 Euro Preisgeld und je einen Montblanc-Füller erhielten die beiden „Schiffs“-Führer ebenso wie alle weiteren Geehrten. Dem belgischen Schauspieler Kristof Van Boven gelang dabei das Kunststück, zum zweiten Mal in der Kategorie „Darstellung“ ausgezeichnet zu werden – diese Ehre hatte zuvor nur Ohnsorg-Ensemblemitglied Erkki Hopf für zwei Hauptrollen in Musicals erfahren. Hatte Van Boven den ersten Preis noch 2015/16 in seiner Thalia-Debütsaison als Eliza in „Pygmalion“ erhalten, überzeugte der 42-Jährige die Jury nun in seiner zweiten Spielzeit am Deutschen Schauspielhaus in Shakespeares „Macbeth“ mit seiner feinnervigen und wandlungsfähigen Darstellung.
Der Theaterpreis Hamburg – für Senator „ungeheure Vielfalt der Theaterlandschaft“
Sinnbildlich für die in Hamburg weitgehend friedliche Koexistenz der Staats- und Privattheater steht in derselben Kategorie Teresa Weißbach: Die 42-Jährige, die ihren Durchbruch noch im alten Jahrtausend in Leander Haußmanns Filmkomödie „Sonnenallee“ erlebt hatte, überzeugte in der vergangenen Hamburger Theatersaison an den Kammerspielen in Ibsens „Hedda Gabler“ in der Titelrolle, erzeugte für die Jury „mit ihrem Spiel Mitleid, Unverständnis bis hin zu Fassungslosigkeit über die Unverfrorenheit ihres Handelns“. „Die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger machen die ungeheure Vielfalt der Theaterlandschaft Hamburgs sichtbar“, lobte Kultursenator Carsten Brosda (SPD) in seinem Grußwort alle Ausgezeichneten.
In der Kategorie „Inszenierung“ gab es ebenfalls zwei Preisträger: Die Auszeichnung für Paul Glaser mit dem Stück „The Pride“ am The English Theatre of Hamburg war dabei die größere Überraschung. In seiner Regie-Arbeit zeigt der Künstlerische Leiter der kleinen Bühne am Lerchenfeld in einer verwobenen Dreiecksgeschichte, wie viel Mut es erfordert, sich zur eigenen sexuellen Identität und den immer noch damit verknüpften gesellschaftlichen Konsequenzen zu bekennen. Für Insider weniger überraschend war der Preis für Bastian Kraft: Im Thalia Gaußstraße hatte der Berliner Regisseur Johann Nestroys Volkskomödie „Der Talisman“ mit zeitgenössischer Video- und Bühnentechnik kombiniert, ohne dem deftigen Stück Tempo, Wortwitz, Situationskomik zu rauben. Im Gegenteil.
Theater Hamburg: Ohnsorg-Oberspielleiter nimmt Preis für verstorbenen Bühnenbildner entgegen
Wie Kraft konnte auch Salvatore Sciarrino seinen Preis in der Sparte „Musik und Komposition“ nicht persönlich abholen. Der Italiener erhielt ihn für seine Komposition von „Venere e Adone“, eine Auftragsarbeit der Staatsoper Hamburg. Intendant George Delnon nahm ihn stellvertretend entgegen. Eine weitere Auszeichnung in dieser Kategorie ging an Amy Brinkman-Davis für „Hans und Grete“ am Opernloft. Die Jury würdigte damit die „ergreifende Bearbeitung des Märchenopernevergreens“, den das Opernloft als „(k)ein Märchen für Erwachsene“ bezeichnet hatte.
Nachdenklich, fast andächtig war die Atmosphäre in der Halle K2 bei der Auszeichnung für das beste Bühnenbild, „Dat Füerschipp“ am Ohnsorg. Murat Yeginer, Oberspielleiter des Traditionstheaters, nahm den Preis anstelle von Jürgen Höth entgegen. Der Bühnenbildner hatte schon bei den Proben und bei der Premiere der Lenz-Adaption von „Das Feuerschiff“ im März gefehlt, er starb im Juni. Er hatte das eindrucksvolle Bühnenbild mit dem vorderen Teil eines Schiffs mit Decksplanken, Reling, Treppen und vielen weiteren Details noch erschaffen, erlaubte dem Publikum mithilfe der Ohnsorg-Drehbühne auch Blicke in die aufgeschnittene Messe des Schiffs. Das Preisgeld wurde im Namen der Familie an das Hospiz Hamburg Leuchtfeuer gespendet.
„Es war eine sehr starke Theatersaison“, bilanzierte die Jury-Vorsitzende Inge Volk, die im Publikum „so was wie Aufbruchstimmung in den Theatern spürte“. Es war schließlich die erste Spielzeit (fast) ohne Corona, und Arbeiten, die seit Monaten oder Jahren fertig geprobt worden seien, „brachten uns bisweilen ganz schön in die Bredouille“, drückte es Inge Volk positiv aus.
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An das einst starre Kategorienkorsett aus Darstellung, Regie und Bühne wollte sich die Jury auch diesmal nicht halten, sagte sie. „Aber mehr als acht Preise sind nun mal – etattechnisch gesehen – nicht drin.“ Ein Grund war die im September bei der ersten Theaternacht nach der Corona-Pandemie noch recht niedrige Zahl von 8500 Besuchern, zu Boom-Zeiten waren es doppelt so viele. „Wenn es die Theaternacht nicht gäbe, gäbe es ja auch nicht den Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares. Der frühere Rolf-Mares-Preis ist ja erst daraus entstanden“, sagte Tom Till, kaufmännischer Direktor des Thalia Theaters und eines von vier ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern des Veranstalters Hamburger Theater e. V. „Wir planen die nächste Theaternacht fest für den 14. September 2024.“