Hamburg. Die Band weckt Fernweh nach einer romantisierten Country-Welt. Von dem Motto „weniger ist mehr“ hält sie nichts.

Es ist weder Karneval noch Halloween, und die Entfernung zwischen Hamburg und dem Wilden Westen beträgt knapp 8000 Kilometer Luftlinie (wenn man Bad Segeberg mal nicht mitzählt). Dass man dennoch ganz unironisch Cowboy-Hüte und Western Boots tragen und dabei sogar noch einigermaßen cool aussehen kann, beweist die Country-Rock-Band The BossHoss am Sonntagabend in der Sporthalle.

Die siebenköpfige Truppe ist auf den letzten Metern ihrer „Electric Horsemen Tour 2023“ das gleichnamige Album ist dieses Jahr im Mai erschienen. Im Fokus der Berliner Band stehen Sänger Alec Völkel und Gitarrist Sasha Vollmer, unter anderem bekannt durch die Sendung „The Voice Of Germany“

BossHoss in Hamburg: Schon die Vorband in der Sporthalle ist pures Entertainment

Die Vorband WellBad stimmt das Publikum in der nicht ganz ausverkauften Halle ein: Fünf Männer in schwarzen Rocker-Westen stehen auf der Bühne, der Sänger Daniel Welbat hat scheinbar im Fach Entertainment promoviert. Seine Bühnenpräsenz, kombiniert mit der rauchigen Kratzstimme, gibt ein passendes Bild ab. „Ich muss Sie vorwarnen, das nächste Lied ist ein Liebeslied“, gesteht Welbat und gibt ein Erbrechengeräusch von sich.

Die Inszenierung wird klar: Hier treten „waschechte“ Männer auf, die Liebeslieder nur mit einer gesunden Ablehnung singen können und klassische Rollenbilder von Mann und Frau so gut wie ihre verehrte Gitarre pflegen. Das Narrativ wird die Fans noch den ganzen Abend begleiten.

„Electric Horsemen“ und Rinderschädel: The BossHoss fährt in der Sporthalle groß auf

Ein Banner mit einem riesigen Totenkopf verdeckt den Blick auf die Bühne. Kurz vor „Tatort“-Startzeit ertönt das Namensgeber-Lied „BossHoss“ von The Sonics aus dem Jahr 1965. Der Totenkopf beginnt blau, weiß und lila zu blitzen, ein Countdown ertönt. Mit einem großen Knall und Feuerwerk fällt der Vorhang, dahinter erscheinen die bosshaften Cowboys und ein Bühnenbild, für welches offenbar Klischees im Sonderangebot waren.

Das Hintergrundbild zeigt eine Wüste, es sind Kakteen und Felsen zu sehen, über der Band blitzt es gewaltig. Rinderschädel schmücken die Bühne (ob echt oder aus Plastik konnte nicht festgestellt werden). The BossHoss eröffnet mit dem Titellied des neuen Albums „Electric Horsemen“. Ob man es wahrhaben möchte oder nicht: Sänger Alec Völkel sieht mit seiner Pilotenbrille, dem Achselshirt und den Tattoos schon ziemlich cool aus. Seine leicht nasale, mit einem amerikanischen Akzent versehene Country-Stimme bringt Laune.

BossHoss-Gitarrist Sasha Vollmer beschreibt Hamburg als „zweites Zuhause“

„Willkommen in der Herde der verlorenen Schafe“ begrüßt Vollmer („Hoss Power“) seine neuen und alten Fans. BossHoss beschreibt Hamburg als „ihr zweites Zuhause“, so oft sind sie bereits in der Hansestadt aufgetreten – zuletzt 2022 im Stadtpark. In insgesamt 20 Jahren haben sie zehn Alben herausgebracht, und die Bühnenerfahrung merkt man ihnen an. Wie Ferienclub-Animateure bringen sie ihr anfänglich noch sonntagsmüdes Publikum zum Klatschen, Mitsingen, Lachen.

Sänger Alec Völkel (links vorne) und Gitarrist Sasha Vollmer bringen ihre Hamburger Fans ordentlich in Stimmung.
Sänger Alec Völkel (links vorne) und Gitarrist Sasha Vollmer bringen ihre Hamburger Fans ordentlich in Stimmung. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Beim Song „Dance The Boogie“, ebenfalls vom neuen Album, fangen die Körper richtig an zu zucken. Der 51 Jahre alte Sänger Völkel alias Boss Burns macht es vor, er tanzt und springt, schüttelt sein Gehirnwasser von links nach rechts. Musikalische Highlights bildet an diesem Abend Malcolm Arison mit seiner Mundharmonika: das Instrument, bei dem man sich am liebsten aufs Pferd schwingen und in den Sonnenuntergang reiten will.

BossHoss oben ohne in der Hamburger Sporthalle und Taschenlampen an bei „Jolene“

Und natürlich, es musste sein: Irgendwann steht Boss Burns ohne T-Shirt da und entblößt seine Brust- und Rücken-Tattoos. „Ladys, ihr könnt anfassen, wo ihr wollt“, verspricht er und springt in die Menge. Stage-Diving wirkt zwar anfänglich immer wie ein wilder Akt – doch am Ende gleitet man stets unelegant wie ein nasser Sack durch die Menge. Egal, trotzdem cool.

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„Alle Lampen an“, heißt es bei der Performance von Jolene – und hiermit ist nicht die Aufforderung zum Whisky-Trinken gemeint. Die Fans packen die Handy-Taschenlampen aus, es wird romantisch. Leider fehlt die weibliche Begleitung (so wie BossHoss im Frühjahr bei Ilse DeLange fehlten) – doch das Publikum übernimmt und singt die Zeilen lautstark mit. Das Cover ist einer der bekanntesten Songs von BossHoss, auf Spotify wurde er fast 30 Millionen mal gestreamt.

BossHoss in Hamburg: Vier Zugabe-Songs und eine große Party zum Abschluss

Nach dem mitreißenden Lied „Dos Bros“ verabschiedet sich die Band – doch so leicht können sie nicht davongaloppieren, ihre Zuhörerschaft johlt sie zurück. Es funktioniert: satte vier Zugabe-Songs haben die Cowboys noch in petto. Beim letzten Lied „Word Up“, einem Cover von Cameo, darf sogar Publikum auf die Bühne. Jedes Bandmitglied zeigt im Solo noch mal, was es draufhat, während vor allem weibliche Fans auf der Tribüne abgehen.

Auch wenn die Songtexte eher flach sind und das Bühnenbild nach dem Mehr-ist-mehr-Motto ein wenig albern wirkt: Die sympathischen Jungs von The BossHoss schaffen es mit ihrer zweieinhalbstündigen Live-Performance, das Fernweh nach einer romantisierten Country-Welt zu wecken. Eine gute Alternative zum sonntäglichen „Tatort“.