Hamburg. Der Starkoch war mit neuem Buch, alten Storys und Löffel in der Fabrik. Nicht allein – ein Freund sang ihm ein Ständchen. Süß.

Sage keiner, Köche wollten keine Bücher verkaufen. Da mochte Tim Mälzer explizit darauf verweisen, aus dem Abend in der Hamburger Fabrik eben gerade keine reine Verkaufsshow machen zu wollen. War es natürlich in jedem Fall, übrigens eine ziemlich gute. Drei Kapitel aus „Vierundzwanzigsieben kochen“ wurden vorgelesen. Und ausgehend von jenen dozierte Dr. Chefkoch in unnachahmlicher Manier über seine Profession und die kulturelle Praxis der Nahrungsaufnahme.

„Chefkoch“ ist bei Mälzer nur ein Teil der Wahrheit. Der 52-Jährige gehört zur Gattung „Fernsehkoch“. Das sind eben genau die mit den Büchern. Sie wissen, was besonders zieht beim Hobby-Publikum: Gerichte, die nicht viel Zeitaufwand erfordern. Gibt es eigentlich noch Rezeptsammlungen, die nicht auf die Kürze in der Würze zielen? Also, ist eh klar: Mälzers zielgruppenorientiertes Buch (Schlagwort: „Gutes und unkompliziertes Essen“) wird ein Hit werden.

Tim Mälzer in Hamburg: Ausnahmsweise wirklich Literatur

Unter seinen Fans sowieso. Die machten die Fabrik am Donnerstagabend voll. Deckten sich mit seinen Büchern ein, ließen sie signieren. Gar kein schlechter Zug des Harbour Front Literaturfestivals, über diese spezielle Form von Literatur die Leute zu locken. VIP-Veranstaltungen sind erstens ausverkauft, andererseits wecken sie im besten Falle Interesse für das Gesamt-Programm.

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Wobei man im Falle genau dieses Buchs verdeutlichen muss: Es ist ja ausnahmsweise mal wirklich Literatur. Songschreiber, Romanautor, Geschichtenerzähler Thees Uhlmann hat ein paar Texte beigesteuert, er las sie in der Fabrik selbst vor. Er war der willkommene Sidekick Mälzers, und als solcher die ultimative Bedrohung für Moderatorin Bettina Rust. Die Journalistin und Food-Podcasterin („Toast Hawaii“) hatte Mühe, die beiden redseligen Permanent-Schnacker Mälzer und Uhlmann zu bändigen. Bisweilen rief Rust die beiden, nur teilweise gespielt, zur Räson. Rusts Anwesenheit war vermutlich nötig, um dem Abend eine gewisse Struktur zu geben. Was den Raum für öffentlich zur Schau gestellte Freundschaft und frotzelnde Blödeleien angeht, hätte es ihrer allerdings nicht bedurft.

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Es gab aber halt einiges in die richtigen Bahnen zu lenken. Koch-Talk, Kochen, Lesen, Musikmachen, das war alles Bestandteil dieses Abends. Gekocht wurden Spaghetti, klassischerweise mit Tomatensauce. Später schüttete Mälzer, der außer Nudel-Tellern auch weiße Schaumstoffmäuse durch die Reihen gehen ließ, großzügig Kräuter, Chiliflocken, Salz („Das ist gar nicht viel, wirklich“) in seine Pfanne. Blumenkohl kam dann noch dazu. Wer nichts gegessen hatte und nichts abbekam, mochte nun ein fieses Hungergefühl verspürt haben. Wenn es nicht längst da war: Uhlmann (Mälzer: „Er ist ein unheimlicher Verbalerotiker und toller Freund“) las seine Brötchen-Erinnerungen aus Hemmoor, und er berichtete vom Marmeladen-Fleiß seiner Mutter.

Tim Mälzer ist Stolz auf die Pinneberger Herkunft

Einmal habe sie Mälzer in der Bullerei eine Flasche Quittensaft vorbeigebracht. Mälzer revanchierte sich jetzt mit seiner „Franzbrötchencreme“, die aufgrund einer – so klang es in seiner Erzählung zumindest – orgiastischen Geschmackserfahrung hermusste. Mälzer macht es einem mit seiner überbordenden, ordinär angereicherten Überwältigungs-Rhetorik irritierenderweise schwer, ihn nicht zu mögen. Wenn er vom Kochen, Essen, von der Emotionalität der Küche und dem Zusammensein bei Tisch spricht, ist das fast schon der Sermon eines Predigers, der auf einen niederprasselt. Essen ist eine Religion, sicher nicht die schlechteste.

Uhlmanns wie üblich Ausdruck findende Hemmoor-Obsession war für Mälzer übrigens ein gutes Stichwort. Launig erzählte er von seinem ersten Besuch in der Fabrik, da war er vier. Seine Eltern seien kettenrauchend „und vermutlich halb betrunken“ nach Hamburg gefahren, zum Jazzfrühschoppen der Fabrik. Oben im Café habe es für die Kinder Spaghetti Bolognese gegeben, „eine erste kulinarische Erinnerung“. Essen gehen sei sowieso etwas ganz Besonderes gewesen und er, wie Uhlmann, „ein Landei“. Pinneberg halt, „ich nehme die Schmach auf mich und bin stolz drauf“.

Mälzer mit Thees Uhlmann in der Fabrik: „Legte einst nur Wurstplatten“

Auch Pinneberger können es weit bringen. Zum Beispiel auf das Plateau derer, denen Thees Uhlmann ein Ständchen schreibt. Zum runden 50. von Mälzer war das. In der Fabrik, dem an diesem Abend gar nicht mal immer ironisch rührseligen Ort, sang Uhlmann das Lied noch mal: „Wenn du so ein guter Koch bist, warum hab ich Durst, wenn ich dich sehe“.

Moderatorin Rust versuchte zwischendurch, ein wenig Theorie – Thema: kulturelle Aneignung in der Küche – in die Veranstaltung zu bringen. Aber diese landete dann doch immer wieder bei Kulinarik-Checker Mälzer („Vegetarisch klingt auch 2023 immer noch nach Verstopfung, das Spannende passiert dennoch immer in Beilagen und Salaten“) und seiner Vita. Bei seiner Ausbildung im Hotel Intercontinental habe er im ersten Jahr ausschließlich Wurstplatten ausgelegt, „aus disziplinarischen Gründen, ich hatte mich für Gleitzeit ausgesprochen“.

Tim Mälzer in der Fabrik: „Ich schreie, aber niemanden an“

Uhlmann teilte mit, dass im Vergleich zu früher das Essen auf Tour wesentlich besser sei, und lobte Mälzer für seine Überzeugungen: „Bei dir wird anders als bei anderen Köchen nicht geschrien und misshandelt.“ Das wiederum kassierte Mälzer mit Blick auf sein Personal, das sich ja möglicherweise im Publikum befand, dann lieber doch zur Hälfte ein. Er schreie die ganze Zeit herum, aber niemanden an. Klingt nach einem sinnvollen Konzept.

Thees Uhlmann sang Tim Mälzer in Hamburg ein Ständchen.
Thees Uhlmann sang Tim Mälzer in Hamburg ein Ständchen. © Funke Foto Services | Michael Rauhe

Gleich zu Anfang des nur zum Ende zerfasernden Abends hatte sich Mälzer („Ich hatte im mündlichen Deutsch-Abi eine Fünf, und jetzt trete ich auf einem Literaturfestival auf“) als Kritiker von Hochkultur-Arroganz geoutet. Bettina Rust wies ihn, den selbst ernannten „Koch des Volkes“ (Mälzer: „Ist cheesy, aber so habe ich mich in einem Team-Treffen tatsächlich mal genannt“) zu Recht darauf hin, dass in Restaurants doch auch gewisse Sprechweisen vorherrschten.

Wohl wahr, die Spitzenküche und ihre Haute-Cuisine-Rhetorik. Mälzer steht nicht im Verdacht, sich dieser zu befleißigen, aber wenn er von der „Präsenz einer Tomate“ spricht, hört man ihm gerne zu.