Hamburg. Der NDR geht dieser Frage nach – in einem TV-Experiment mit sechs Hamburgern. Hier wird Rassismus sichtbar gemacht und diskutiert.
„Bei Rassismus kommt es darauf an, mit welcher Absicht man etwas sagt.” Stimmen Sie dieser Aussage zu? Dann gehen Sie nach links. „Hautfarbe spielt für mich keine Rolle.” Sie stimmen nicht zu? Dann machen Sie einen, zwei oder drei Schritte nach rechts. So funktioniert das Experiment, das Tagesschau24 in Kooperation mit dem NDR-„Kulturjournal“ entwickelt hat.
Mit der sogenannten „lebendigen Statistik” fragt Moderator Michail Paweletz die Haltung der sechs Teilnehmer zu verschiedenen Statements ab. Sie bewegen sich dabei frei im Raum, verorten sich und erklären anschließend, warum sie stehen, wo sie stehen. Gezeigt wird das Experiment in drei Folgen, die jeweils 10 Minuten lang sind.
Standpunkt wird sichtbar - im doppelten Sinne
„Ich mag den Moment ganz gerne, wenn die Leute anfangen zu suchen”, sagt Paweletz, der das Format mit Co-Autor Stefan Mühlenhoff entwickelt hat. „Man sieht richtig, wie sie nachdenken. Dann wählen sie ihre Position und es ist buchstäblich ein Standpunkt, der sichtbar wird. Dadurch entsteht auch eine Energie, eine Dynamik – ich finde, das ist eine ideale Grundlage für eine Diskussion.”
Die Methode, bei der sich die Teilnehmer mit Abstand im Raum bewegen, wurde auch deshalb gewählt, weil in Corona-Zeiten so die nötigen Abstände eingehalten werden können. Daher kommen auch alle sechs Teilnehmer im Alter von 18 bis 73 Jahren aus dem Raum Hamburg. Was am Format auffällt: Alle Probanden sind weiß.
Nur weiße Teilnehmer: Bewusste Entscheidung des NDR
Das war eine bewusste Entscheidung, sagt Paweletz: „Das hat damit zu tun, dass Menschen, die zur Kategorie weiß gehören, sich mit Rassismus normalerweise nicht selbst in Verbindung bringen. Und schon gar nicht, wenn jemand in der Runde ist, der von Rassismus betroffen ist. Es gibt eine große Neigung dazu, diese Person als Kronzeugen zu benutzen. Als das Opfer, das den Beweis liefert, dass es Rassismus überhaupt gibt.“
Dadurch entstehe auch oft ein bestimmtes Bild von den extremen, rassistischen Tätern als den bösen anderen Menschen: „Da sagt man sich dann: Ich bin kein schlechter Mensch. Ich trenne den Müll und esse vielleicht auch vegan. Rassismus finde ich schlecht, das gibt es in meiner Schule, meiner Firma eigentlich nicht. Das hat mit mir gar nichts zu tun. Wir haben gesagt: Weiße Menschen sind durch ihre Sozialisation, für die sie nichts können, Teil des Problems Rassismus. Wir sitzen alle in einem Boot.“
Offene Reflexionen über Vorurteile und Rassismus
Alle Teilnehmer haben sich schon vorher mit dem Thema Rassismus beschäftigt – das war in den Vorgesprächen ein wichtiges Kriterium. Denn das Produktionsteam wollte keine Extrempositionen gegeneinander ausspielen, sondern eine respektvolle Diskussion ermöglichen, erklärt Paweletz: „Wir wollten eine Atmosphäre schaffen, in der man als Zuschauerin oder Zuschauer Zeuge eines Nachdenk-Prozesses wird. Es sollte ein konstruktives Gespräch sein, nach dem die Zuschauer nicht mit einem Gefühl der Leere und des Frusts den Fernseher ausschalten.“
So kommen sehr offene Reflexionen zustande. Rentnerin Margrit (67) geht auf Antirassismus-Demos. Trotzdem sagt sie in der Sendung über eine Wohnung, die sie vermietet: „Ehrlich gesagt möchte ich da Türken nicht haben. Da gibt es so viele Vorurteile, die ich habe. Ich weiß, dass das Vorurteile sind und ich finde es schwierig, das so ehrlich zu sagen.”
Experten klären per Videocall auf
Warum auch vermeintlich harmlose Fragen wie „Wo kommst du her?” rassistisch sein können, erklären in der Sendung drei Experten per Videocall. So sagt beispielsweise die Antirassismus-Beraterin Tupoka Ogette: „Wichtig ist, dass Rassismus sich über den Effekt definiert.”
Aussagen könnten also mit Absicht oder aus Versehen rassistisch sein. Aber beides könne verletzen. „Diese Betrachtung hilft uns. Dann kann nämlich auch klar werden, dass Menschen, die es gut meinen, trotzdem Rassismus reproduzieren können”, sagt Ogette in „Wie rassistisch bist du?”
Hinweis auf Rassismus oft als Angriff gewertet
Teilnehmerin Lenya (18) hat sich schon vor der Sendung mit Ogettes Arbeit beschäftigt und ihr Buch „Exit Racism” gelesen. Für Lenya war auch die Black-Lives-Matter-Demonstration, die im Juni tausende Menschen auf den Jungfernstieg brachte, ein Anstoß, sich mehr mit Rassismus zu beschäftigen. Im Lehrplan in ihrer Altonaer Schule kommt ihr das Thema zu kurz, sagt sie auf Abendblatt-Anfrage: „Wir haben über Sklaverei im 17. Jahrhundert gesprochen, aber über Rassismus heute haben wir kaum gesprochen. Obwohl meine Schule schon sehr progressiv ist.”
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Im Freundes- und Familienkreis kann Lenya das sensible Thema nicht immer ansprechen: “Weil ’das ist rassistisch’” immer aufgenommen wird wie „du bist ein schlechter Mensch”. Das ist natürlich schwierig, wenn man zum Beispiel nett mit der Oma am Frühstückstisch sitzt. Da fragt man sich schon: Ist es der Streit jetzt wert? Aber ich versuche, es anzusprechen.” Mit ihrer Teilnahme an der Sendung möchte sie auch andere Menschen motivieren, sich mit ihren eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen.
Sendung soll Lust auf Diskussionen wecken
Das wünscht sich auch Moderator und Autor Michail Paweletz. Er hofft, dass die Zuschauer eine Neugier auf sich selbst aus der Sendung mitnehmen: „Die Lust zu diskutieren. Und den Mut, zu diskutieren. Wenn man Leute sieht, die so ehrlich sind, dann hoffe ich, dass es ansteckend ist.”
Die zweite Folge von „Wie rassistisch bist du?” wird heute um 22.45 Uhr im NDR-„Kulturjournal“ gezeigt. Die dritte Folge läuft am 1. Februar (22.45 Uhr). Alle Teile sind in den Social-Media-Kanälen der „Tagesschau“ und in der NDR-Mediathek zu finden.