Hamburg. Nach der gefeierten Premiere bei den Salzburger Festspielen wird Karin Henkels Inszenierung auch am Schauspielhaus zum Triumph.

Lina Beckmann gibt alles. Sie rennt, tanzt, poltert, zischt. Die Augen leuchten giftgrün umrahmt. Aus dem grimassierenden Gesicht tropft der Schweiß. Und wenn ihr sagenhaft maliziöser Richard nach über einer Stunde mitten beim Wegschaffen der Leichen sagt: „Ich mach kurz ‘ne Pause“, ist es mit dem Schlachten und Intrigieren noch lange nicht vorbei.

Karin Henkels Fast-Vier-Stunden-Version von „Richard the Kid & the King“ ist nach der fulminanten Premiere bei den Salzburger Festspielen in Hamburg angekommen. Und beschert dem Deutschen Schauspielhaus einen Triumph zur Saisoneröffnung.

Richard in einer vom Nebel des Grauens eingehüllten Weltscheibe

An diesem Abend stimmt – fast – alles. Das zauberhafte Bühnenbild von Katrin Brack mit der leicht schrägen, vom Nebel des Grauens eingehüllten Weltscheibe und dem auf und nieder sinkenden Lampen-Mobile. Die unheimlich dräuende elektronische Musik von Arvild J. Baud. Die tollen Hosenanzüge und barocken Kleider von Klaus Bruns.

Klug hat die Regisseurin die Shakespeare-Dramen „Henry VI“ und „Richard III.“ ineinander geschnitten, wobei sie von Ersterem auf die Version zurückgreift, die Tom Lanoye 1999 für Luk Percevals legendären Zwölf-Stunden-Shakespeare-Marathon „Schlachten!“ verwendet hat. Der wurde seinerzeit zum 100-jährigen Jubiläum des größten deutschen Sprechtheaters an der Kirchenallee ebenfalls enthusiastisch gefeiert.

Beckmann brilliert als personifizierter Tyrann

Dass dieser Abend gelingt, liegt natürlich an Lina Beckmann, aber längst nicht allein. Das gesamte Ensemble spielt bravourös. Beckmann brilliert als personifizierter Tyrann, der im ewigen Rosenkriegs-Zweikampf der Häuser York und Lancaster frühkindliche Verstörung erfuhr, als man ihr die abgeschlagenen Köpfe von Vater und Bruder entgegenhielt.

Als „Missgeburt“ und „Monster“ wird sie schon als Kind von der eigenen Mutter, der Herzogin von York – unerbittlich und scharfzüngig verkörpert von der früheren Forsythe-Tänzerin Kate Strong – verunglimpft und abgelehnt.

Kristof Van Boven spielt den Saal weich

Beckmanns „Richard“ erinnert dabei, dreckig lachend und Gokart fahrend, häufig an böse filmische Verwandte, den „Joker“ etwa oder auch an Stephen Kings unheimlichen Clown in „Es“. Neben ihr sind Kate Strong unter anderem als Bruder Edward IV. und Mutter und Bettina Stucky als Bruder George und wehrhafte Schwägerin nicht weniger sehenswert.

Ein Ereignis aber ist Kristof Van Boven, der in Sekundenbruchteilen vom des Lebens überdrüssigen König Heinrich VI. zur machtbewussten Königin Margaretha und später, im gelben Tüllkleid, zur verstörten Lady Anne wechselt und die Familie Lancaster im Alleingang verkörpert. Mit der Wucht der Verzweiflung und eindringlicher körperlicher Präsenz spielt auch er den Saal weich.

Richard the King: Parallelen in die Gegenwart drängen sich auf

Im zweiten Teil gibt es den Intrigen und Polit-Volten geschuldet wenige Längen, meist hält Henkel die Spannungskurve kunstvoll oben. „Gibt es kein Königreich für Richard?“, fragt Lina Beckmann. Fein ziseliert Henkel, wie die Gier nach versprochenen Provinzen und Beförderungen die Lords langsam aber sicher korrumpiert und alle Skrupel über Bord werfen lässt, mit diesem Tyrannen zu kooperieren.

Parallelen zur Gegenwart drängen sich schmerzvoll auf. Autokraten gibt es gerade genug in der Welt. Nachdem alle Thronanwärter aus dem Weg geräumt sind, stemmt sich Lina Beckmann, paranoid und mit dem Maschinengewehr im Anschlag, trotzig in den Bühnenboden, ihr Schicksal erwartend. Das muss man gesehen haben.

„Richard the Kid & the King“ weitere Vorstellungen 19.9., 18.00, 27.9., 1.10., 14.10., 16.10., jew. 19.00, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de