Hamburg. Der Ex-TV-Moderator und Notfallsanitäter stellte seinen neuen Krankenhausroman vor. Irgendwie auch mit dabei: Britney Spears.

Tobias Schlegls neuer Roman heißt „Strom“, er spielt auf der Demenzstation im Krankenhaus. Ein harter Stoff. Ein harter Job für alle, die dort arbeiten. Schlegl war in seiner Sanitäterausbildung selbst länger im Krankenhaus, 720 Stunden, um genau zu sein, etliche davon bei den Menschen, deren Geist sich verabschiedet.

Schlegl erzählte von seinen Erlebnissen bei der Premieren-Lesung seines zweiten Romans in der Kleinen Laeiszhalle. Und ließ auf dieser Veranstaltung des Harbour Front Literaturfestivals keinen Zweifel daran, wie schwierig er die Arbeitssituation für Pflegerinnen und Pfleger derzeit erachtet.

Der 45-Jährige berichtete vom Fehlen einer Fehlerkultur und mangelnder Kommunikation zwischen den Hierarchieebenen. „Es ist ein herausfordernder Job, nicht nur wegen der Patienten“, sagte Schlegl. Und bugsierte sich explizit in die Rolle, in die er sich auch schon bei seinem 2020 erschienenen Debüt „Schockraum“ begeben hatte. Es ist die des Sprachrohrs eines Berufsstandes.

Tobias Schlegl: In „Schockraum“ schrieb er über Notfallsanitäter

Waren es zuerst die Notfallsanitäter, die der mittlerweile selbst seit 2016 in diesem Beruf arbeitende, ursprüngliche Medienschaffende Schlegl in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückte, sind es nun die Pfleger auf der Demenzstation, die er zu Heldinnen und Helden eines literarischen Werks macht.

Es ist also erneut eine Message, die Schlegl senden möchte, „Strom“ ist wieder eine Form der engagierten Literatur. Der Autor („Ich ließ das Manuskript von einer Pflegekraft und einer Ärztin lesen“) möchte ein Schlaglicht auf die Zustände werfen.

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„Es wird nicht besser, wenn man Missstände nicht benennt“, sagte Schlegl. Er wisse, dass die in der Pflege Beschäftigten es gut finden, „dass einer nach vorne geht und Klassensprecher ist“. Warum sie solch einen, also ihn, brauchen? Schlegl: „Sie dürfen ihren Mund nicht aufmachen, und sie sind zu fertig, um dies zu tun.“

Wie man an seinem Auftritt in Hamburg sehen konnte, mag Schlegl („Ich wollte eine Story erzählen, die nicht langweilt“) seine Geschichte um drei Pfleger in einer Klinik, die in ein Geschehen um Leben und Tod verstrickt werden. Und er identifiziert sich in hohem Maße mit seinem Auftrag als Berichterstatter aus einer Welt, in der eine ganz eigene Form von Brutalität, Zynismus, aber auch Liebenswürdigkeit herrscht. Sicher, Schlegl fährt schwere Geschütze auf – im Zweifel gegen das gesamte Gesundheitssystem –, um die grenzwertigen Situationen aufzuzeigen, zu denen es auf der Demenzstation kommen kann.

Romanautor Schlegl: Die Geschichte eines „König der Reanimationen“

Es ist ein sinistrer Pfleger, ein „König der Reanimationen“ (Schlegl) namens Frank, der seinen beiden Kollegen Nora und Diddy verdächtig wird. Was steckt hinter dem Rausch des Rettens, in den sich Frank so gerne begibt?

Im Gespräch mit Moderator Jo Schück offenbarte Schlegl die freilich naheliegende Inspirationsquelle für seinen Roman „Strom“: Es war Niels Högel, der Krankenpfleger, der zum Serienmörder wurde, der Pate stand für Schlegls Bösewicht.

Schlegl erwähnte die zehn Tötungsserien, die seit 1970 aufgedeckt wurden, und sieht in diesen Verbrechen – die für einen „Pflege-Thriller“, wie er ihn geschrieben hat, genau die richtige Dramaturgie haben – offensichtlich den Endpunkt im Grunde unhaltbarer Zustände im Pflegebereich. Chronische Unterbesetzung ist nur einer davon. Schlegl sprach auch wiederholt von ausbleibender „Supervision“.

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Dass literarische Qualität bestenfalls zweitrangig ist, wenn es einem Autor so stark um ein gesellschaftliches Anliegen geht, muss man im Falle des Schriftstellers Tobias Schlegl, der früher im Fernsehen unter anderem Sendungen des Musikkanals VIVA und im ZDF „Aspekte“ moderierte, in Kauf nehmen. Und Gesundheitspolitiker und Klinikmanager könnten seine Bestandsaufnahme, die im Roman eine extreme Eskalation erfährt, als arg grell empfinden. Große Hoffnungen für die Kollegen hat Schlegl übrigens nicht, dass sich die Lage auf den Stationen bessert, hält er für „völlig utopisch“.

„… Baby One More Time“: Am Ende wurde es heiter

Was hat er für sich mitgenommen von seiner zehrenden Arbeit im Gesundheitssystem? Was macht die permanente Konfrontation mit dem Tod mit einem? Man muss, sagte Schlegl, und man hielt das in diesem Moment tatsächlich nicht für trivial, das Leben mehr genießen, „im Hier und Jetzt leben, Freunde und Familie lieber sofort treffen als später“.

Es gab eine musikalische Begleitung (Schlegl: „In dieser Melancholie der perfekte Soundtrack zum Roman“) in der Laeiszhalle. Als der Hamburger Singer-Songwriter Tim Jaacks den Pointer-Sisters-Oldie „I‘m So Excited“ in einer getragenen Akustikversion vortrug, passte das in seiner Düsternis gut zum Stoff.

Später dann gab es noch ein heiter vom Publikum mitgesungenes Cover von „… Baby One More Time“. Die um sich greifende Fröhlichkeit konnte man bizarr finden. Oder für ein richtigerweise forciertes Gegenprogramm zum morbiden Thema von Tobias Schlegls neuem Roman halten.